een schaufpiel in vier Hutzügen > = Ex f — A * * N 1 Rx 0 8 75 — ur * 4 “ BR 7 # 7. > 4 = un Georg Beinria.mevet V Neigung Verlag bon Georg Beinrich Meyer in Zeipsig. Frühschein. Geſchichten vom Ausgange des großen Krieges von J. I. David. rer Inhalt: Verſtörte Zeit. — Der Bettelvogt. — Das Totenlied. — Frühſchein. Preis geh. Mk. 3.—, geb. Mk. 4.—. Der Autor erhielt für dieſes Buch den Bauernfeld-Preis. Ein auserleſenes Kuratorium litteraturverſtändiger Männer hat alſo dokumentiert, daß das Werk zu den litterariſch wert⸗ vollſten Erſcheinungen des letzten Jahres gezählt werden muß! K up mum> > > em Mer. 9 U Neigung Ein Shaufpiel in vier Aufzügen von 18 | ' N f D 15 | 9 ee d 1 8 e Ne N ur 2 — Leipzig Verlag von Georg Heinrich Meyer 1898. Alle Rechte vorbehalten. Bühnen gegenüber Manufkript. Nerſonen: Joſef Liborius von Köſtler, Kaſſierer (60 Jahre). Anna, ſeine Frau (52 Jahre). Felix, ſein Sohn, k. k. Beamter (29 Jahre). Poldi, ſeine Tochter, Lehrerin (28 Jahre). Grete, ſeine Tochter (15 Jahre). Dr. Auguſt Weißl, Bürgerſchullehrer (32 Jahre). Liſi Klein (22 Jahre). Hans Klaus, ein Freund Köſtlers. Marie, Dienſtmädchen bei Köſtlers. Ort: Wien. Zeit: Gegenwart. Der 1. und der 2. Akt ſpielen von Samstag Abend bis Sonntag Mittag. Der 3. Akt eine Woche ſpäter, wieder nach einer Woche der letzte. Felix iſt ein durchaus eleganter, ruhiger, ironiſch über⸗ legener Menſch. Niemals roh! Immer höflich. David, Neigung. 1 I. Aufzug. Zimmer bei Köſtlers. Sehr ſauber. Nicht eigentlich dürftig, nur iſt alles ſehr ängſtlich geſchont. Eine Thür im Hinter⸗ grunde. Allgemeine Eingangsthüre rechts vom Schauſpieler, Thüre links in ein drittes Zimmer. Ein großer Tiſch, ein Bett, ein Schlafdivan. Eine gewiſſe puritaniſche Kahlheit. Erſte Abendſtimmung ſo gegen 5 Uhr nachmittags. Wenn der Vorhang aufgeht, ſitzt Frau v. Köſtler allein und ſtrickt. Unmittelbar danach kommt Grete (tritt haſtig ein, wirft die Bücher von ſich): Guten Abend, Mutter. Iſt die Poldi ſchon zu Haus? Mutter (hält ihr die Wange hin): Nein, Gretel. Grete (üßt fie ſehr flüchtig): Es wird halt alleweil ſpäter, und ſo gar nichts kann man mehr von ihr haben. Nun ja! Die Fräulein Lehrerin kriegt ihre Stunden gezahlt und ſieht nicht mehr ein, warum daß ſie bei ihrer leiblichen Schweſter eine Ausnahme machen ſoll. 1 * ER Mutter: Was willſt Du denn von ihr? Sie kann ja noch gar nicht zu Hauſe ſein. Zu ihrer Schule iſt es weit, und ſie vergönnt ſich die Tramway nur, wenn es eben regnet. | Grete: Helfen ſoll fie mir. Ich bin mir ſchon zu alt, um mich noch mit den dummen Schulauf⸗ gaben zu rackern. Mutter: Sie thut es doch ſelber immer noch. Grete: Weil ſie zu nichts Beſſerem gut iſt. Mutter: Gretl! F Sehe een: Mutter! Wenn Sie nur wüßten, wie ſpring⸗ giftig ich bin. Immer vor der ganzen Klaſſe daſtehen müſſen, und immer hören müſſen, was die Poldi einmal für ein Tugendſpiegel war und wie ungezogen ich bin und daß ich niemals eine gute Lehrerin ſein werde und ein Vorbild der Jugend. Da können ſie Recht haben. Will ich's denn ſein? Mir paßt es nicht, mit den Theken von fremden Kindern und mit den Büchern herumlaufen und auf der Straße jetzt ſchon die REEL Feierliche ſein. So eine wie die Poldi, die's ſchon als Kleine in ſich gehabt hat. Mutter: Wenn's aber ſein muß?! | Grete: Muß! Wie ſoll einen etwas gefreuen, was ſein muß? Mutter: Da fragt man eben nicht nach Freuen! ... Was war denn wieder? G trete (pfeift ſchrill). Mutter: Grete! So gar ungezogen mußt Du nicht as Grete: Mutterl, find Sie nicht bös, aber irgendwo muß man doch ſein Gall' auslaſſen. Mutter (ſeufzt). Grete: Nicht gar jo tragiſch ſein, Mutterl! cherzlich): Ich weiß, es ſind gegen Sie alle ungezogen. Immer ohne die heilige Poldi. Aber es war heut' auch wieder ein Leben in der Schul'! Mutter: Was war denn? RN Grete: Was alle Tag’ iſt. Da bin ich die einzige Adelige in der Klaſſe! Und es freut mich, daß ich's bin, weil ſich viele drüber ärgern, die Geld haben und nur hinkommen, weil „gediegene Bildung“ eben in der Mod' iſt. Aber mich ärgert's — das Fräulein v. Köſtler iſt armſelig angezogen, wie keine. Da wär' die Grete Pollak. Die will durchaus v. Pollak geheißen werden und kann lang warten, bevor ſie's von mir erlebt. Und ich bin doch die Hübſcheſte unter ihnen! Meiſt ſind's ja, wie man ſagt, wenn ſich einer mit einer verlobt und man fragt ihn, wie ſeine Braut iſt und er antwortet: „Ein ſehr ein intelligentes Mädchen.“ Und nachher weiß man genug. Mutter: Grete! Grete: Weil's wahr iſt! — Und ich bin aufgerufen worden und habe wieder nichts gekonnt. Und der Herr Profeſſor hat ſo was Niederträchtiges an ſich. Wenn ich recht begoſſen daſtehe, ſo heiß' ich Fräulein Margaretha v. Köſtler hinten und gnädiges Fräulein vorn. Der Aff'! Und die andern kichern, und ich hab' meine Wut in mir und denk' mir: Meine Rach' möcht' ich haben. Wenn ich dem Kerl nur einmal was anthun könnte. ET Ben REN Mutter (erſchreckt): Gretl, wer 1 jo. 1 Grete: Ja, zum Beiſpiel ihn in mich verliebt machen. Er ſollt' wiſſen, was das heißt, zappeln ohne End' und ohne Ausſicht. | | Das Dienſtmädchen ift eingetreten und deckt den Tiſch mit einem rot-weißen geblumten Kaffeetuch und ſtellt eine Kanne und drei Taſſen auf. Grete: Das Kaffeetuch zum Beiſpiel. Wenn ich das nur ſeh', ſo könnt' ich davonlaufen in die weite Gotteswelt. Überhaupt wie bei uns ſerviert wird! Mutter (winkt ihr zu ſchweigen). — — n — G rete (Heftig): Mutter: Sie können geh'n, Marie. (Marie ab.), Ich. bitte Dich, Grete, vor dem Dienſtmädel mußt Du doch wicht ſo reden. 777 Grete: Ach was! Die weiß mehr als wir ſelber. Und ſie hat's beſſer, als wir alle. Beſſer ſo ein Dienſtbot' als ein armes Fräulein. Paßt's ihr wo nicht, ſo ſucht ſie ſich's eben wo anders. ä n Niemandem braucht ſie Rechenſchaft von ſich zu geben. Und hübſch iſt ſie. Und alle vierzehn Tage kann ſie luſtig ſein. Im Prater oder wo es ihr ſonſt gefällt. Und Liebesbriefe bekommt ſie mehr als wir Mahnbriefe. a Mutter (öbält ihr den Mund zu): „ Gretel! Du. Grete: Ich bin nicht blind, Mutterl. Und bis auf das, was die Lernerei angeht, bin ich nicht dumm. Ich weiß, Sie kommen in den Kalender, wenn es eine himmliſche Gerechtigkeit giebt. Aber mir wär' ein Tag im Leben lieber, als einer im Kalender. Es iſt ſo fad, immer den gleichen Tag haben und mit Gott weiß noch wie vielen einen zuſammen und ſich anplärren laſſen: „Heilige Margaretha! Bitt für un 2 Wir haben's am ſchlimmſten auf der Welt, weil wir wiſſen, wie wir's haben ſollten, und es niemals ſo kriegen, wie es ſein müßte. Muter: Fehlen thut Dir doch nichts. Grete: (hat ſich geſetzt, trinkt, ſtößt die Taſſe von ſich) Wenn einem nur nichts fehlt! . .. (brütet vor ſich hin.) e Mutter: (legt die Hand auf ihre Schulter. Grete zuckt heftig mit der Schulter.) Was denkſt D' denn? — Grete: Nichts, was man einem erzählen möchte. (Springt auf und trällert.) Es kommen Pol di und Felix. Kurze Begrüßung. Felix küßt der Mutter die Hand. Felix: Sind Briefe gekommen? Mutter: Ja. Sie ſind in Deinem Zimmer. (Felix ab ins Zimmer links. Poldi hat ihre Hefte reinlich auf den Tiſch gelegt, ſetzt ſich, trinkt den Kaffee.) Mutter: Er iſt wohl ganz kalt. Poldi (gutmütig): Macht nix, ſo werd' ich halt noch ſchöner. Mutter: Biſt nach Haufe gefahren? Poldi: Nein. Es thut mir ganz gut, wenn ich geh'. Man ruht ſich ein bißchen aus dabei. Es war ja auch ſchönes Wetter. Und ſo am Ende vom Monat, wo einem jedes Sechſerl wehthut i Mutter: Wenn Du nur nicht gar ſo weit hätteſt! Poldi: Ich bitt' Sie, Mutter — wo ein jedes von uns ſeine Beſchäftigung hat und ein jedes anderswo, wie ſoll man ſich da eine Wohnung finden, daß nicht einer weit hat? Und gar mit meinen Stunden. Die kann man ſich doch auch nicht ausſuchen nach dem, ob ſie nahe ſind, oder nicht. Jetzt bin ich das Laufen ſchon gewöhnt. Etwas mehr oder minder... Die Mutter hat ihre Strickerei wieder vorgenommen. Das Dienſtmädchen räumt ab. Grete liegt auf dem Sofa und Poldi beugt ſich wie kurzſichtig über ihre Hefte. Felix zer⸗ knüllt im Eintreten einen Brief. Felix: Wenn jemand nach mir fragen ſollte, ich bin in meinem Kaffeehaus. Matter; Kommſt zum Nachtmahl? Selve. Das weiß ich noch nicht. Mutter: Ich bitt' Dich, Felix, haſt ein paar Gulden? Felix: Nein. Nicht um einen mehr, als ich ſelber brauch'! BI | Mutter: Ich bitt' Dich darum. Felix (ſehr beſtimmt): Nein! Ich gebe, wozu ich mich verpflichtet habe. Pünktlich. Mich ſelber aber bringe ich niemandem zuliebe in Ungelegenheiten. Unnütz gebe ich nichts aus. Ich bin nicht in den Ver— hältniſſen danach. Mutter: Ich möchte doch nicht — aber es iſt kein Kreuzer Geld im Haus. | Felix (fer höflich): Das thut mir aufrichtig und von Herzen leid. Ob zwar es nicht ſein müßte. Ich gebe, wozu ich mich verpflichtet habe. Ich wohne Ihnen zuliebe gerne hier und ſteuere mein Teil bei, obzwar es ſeine Unannehmlichkeiten auch N ee Grete (rad): Weil es eine Empfehlung ift für einen jungen Beamten, ein guter Sohn zu ſein. Gelt? eb Da haben Sie gleich eine von den Un— annehmlichkeiten. (Ab.) Maffei; Es iſt ein Elend, ein Elend, ein Elend. (Beginnt gedankenlos zu rechnen.) ON P oldi (hebt den Kopf): Arme Mutter! Und ich hab' ſelber nur ein paar Sechſerln. Mutter: So gieb mir ſie! Ja? Poldi: Ich thu's nicht gern. Hat der Vater keins? Ich kann doch nicht gut ſo ganz ohne Geld ſein bis zum Letzten. Noch dazu, wo ſie in den Stunden ſo unpünktlich zahlen. Mutter (tteicht ihr über den Kopf): Thu's. Du biſt meine gute Poldi. Poldi: (ſteht auf, ſchüttet den Inhalt ihres Geldtäſchchens aus, legt einen Gulden und ſiebzig Kreuzer auf den Tiſch, nimmt ſich die Kreuzer und lacht) Mit dem haben Sie mich noch immer dran⸗ gekriegt. Und der Vater hat wirklich keins? Mü er Der?! Und man darf ihn auch nicht ſtören. Sonſt wird er grob. Die Thüre zum Zimmer im Hintergrunde iſt auf⸗ geſprungen und bleibt während des übrigen Aktes offen. Man ſieht himmelhohe Dächer, die Türme der Votivkirche, Schorn— ſteine. In der Thüre a Köſtler (eine große Rolle in der Hand): Und warum darf man ihn nicht ſtören? e EOS Grete (ſpringt ihm entgegen): Der Vater! Köſtler (üßt fie): Ich will Dir's ſchon ſagen, wenn Du es immer noch nicht weißt, warum man mich nicht ſtören darf. Weil ich arbeite. Den ganzen Tag. Erſt im Amt um unſer tägliches Brot, alsdann zu Hauſe für's mehr. Mutter: Wenn wir nur das erſte hätten, immer hätten! Köſtler (großartig): Du mußt mich eben immer ſtören. Ich aber muß meine Gedanken beiſammen haben. Gelt, Gretel, das muß ich, wenn's etwas werden ſoll? Mutter: Aber einkaufen kann ich nicht davon. Köſtler (äberhörend, noch großartiger): Und für wen arbeite ich. Für Euch. Dreißig Jahr und mehr nur für Euch. Oder gönn' ich mir was Unrechtes? Was, Poldi? Gewiß nicht! Nein! 5 Poldi ſcerzlich und ſchlicht): Ich weiß ja, Vater, wie gut Sie ſind. Köſtler: Ich hab's einmal in mir. Ich kann keine £ BEN Stunde müßig ſein. Mich treibt's in die Höh', wie's einen Luftballon in die Höh' treibt in dem Augenblick, wo man das Gas hineinläßt. Über _ haupt, der Luftballon, das iſt gleich wieder eine Idee! 9 * Grete: Seben S' acht, daß fie Ihnen nicht auskommt! Köſtler: Nein, ich hab' genug mit die großen Enden. Das iſt nichts für unſere Zeit. — Da hab' ich heute den Stammbaum der Familie v. Köſtler angefertigt, weil ich 1 5 u a W aufgelegt war. 3 Alle: Laß ſchau'n. K öſtler (entrollt ihn): Was, der iſt ſchön? Da haſt Du meinen Urgroßvater, den berühmten Joſef Liborius v. Köſtler. Er hat die Dampfmaſchine erfunden. Poldi: Aber das hab' ich ganz anders gelernt. Köſtler: Auch ſo eine Geſchichtsfälſchung. Der hat ſie erfunden! Was hat er davon gehabt? Nichts wie Kummer und Kränkung, nur weil ein anderer früher damit fertig war. Aber er iſt mein Ahn⸗ herr und er ſoll mein leuchtendes Vorbild bleiben. NE Mutter: Damals haben die Köſtler noch ein Geld für ſolche Sachen gehabt. | Köſtler: Ewig mit dem Geld! Und verthu' ich denn was? Überhaupt, bring' mich nicht ins Rechnen. Jeder Gulden, den ich verdien', geb' ich Dir. Du haſt was gehabt, ich hab' was gehabt, wie wir geheiratet haben. Neunzigtauſend Gulden hab' ich aufs wenigſte verdient, ſeit wir bei⸗ ſammen ſind. Das iſt ein ſchönes Stück Geld! Da könnt' man rein von die Zinſen leben! Wo ſind ſie, Du gute Wirtin? Mutter: Ja, und einen jeden Kreuzer nimmſt mir weg. Köſtler: Ich ſag' ja nichts gegen Dich. Nur ſtören mußt mich nicht immer. Und wir werden wieder zu Geld kommen. Sicher wieder. Ich hab' Ideen für hundert andere. Und ich weiß jetzt, wo man's anpackt. Die Gretl ſoll mir noch in Sammt und Seiden gehen, weil zu dem Geſichtel ewig kein Kattunkleid paßt. Die Poldi, wenn ſie ſchon durchaus das Schulmeiſtern nicht laſſen kann, ſoll im Unnumerierten zu ihren ſchmutzigen Fratzen nach Favoriten fahren ... FB Mutter: Und ich, ich wär’ vorderhand zufrieden, wenn ich nur aufs Einkaufen hätt'. Köſtler: Ich red' von ſolche Sachen und ſie kommt mir mit dem Einkaufen. (Spielt nervös mit dem Geld auf dem Tiſch.) Mutter: Den Gulden laß liegen! Köftler: Ja, da haſt ihn. (Giebt ihn ihr nicht.) Was unſere Zeit braucht, das ſind Gegenſtände des allgemeinen Gebrauches, Gegenſtände, welche jo- zuſagen in keinem Haushalte fehlen dürfen. Da kann man verdienen. Wenn ich nur einen Geld— geber hätte! Ich ſuche einen. Fragt's nur den Klaus. Nur deshalb geh' ich ins Wirtshaus, wo ich ſonſt lieber gemütlich mit meinen Lieben beiſammenſäße. Was hab' ich im Wirtshaus? Ich rauch' nicht wegen der Erſparnis und muß den Rauch von anderen ſchlucken. Fragt's nur den Klaus. Und Ihr glaubt, ich verthu' mein Geld? Ja, werden denn die Geldgeber zu mir kommen? Ich leb' nur für meine Familie. Fragt's nur den Klaus. Aber man muß ſuchen. Wie mit der Laterne. Und ich hab' jetzt einen in Ausſicht und bald fangen wir an. Da weiß e,, ich was beſſeres fürs Naphthalin. Das ſtinkt nur jo ſchrecklich und nützen thut s gar nichts. 3 Gretl: Wenn die Motten die Strauchen haben, nützt's nix. Sonſt ſchon. Köſtler: Grete! (lachend): Nun, und darf die Wirkſam⸗ keit eines Mittels von ſolchen Zufälligkeiten ab⸗ hängen? Dienſtmädchen (meldend): Der Herr Klaus iſt da. Er wartet unten. Mutter: Der Klaus? Traut ſich der wieder herauf? Köſt ler: Das Vorhaus haſt ihm nicht verboten, nur das Haus. Aber der Klaus! Dann muß ih... Wenn der zu mir kommt, dann iſt's was Wichtiges! (Schleunig ab.) Mutter; Mein Gulden! Hört! Mein Gulden! (kraftlos): Immer macht er mir's ſo. P oldi (räumt ihre Hefte zuſammen, gelaſſen): Kränken Sie ſich nicht ſo, Mutter! Ich werde mit dem Felix reden. Mir borgt er ſchon noch ein Geld bis zum letzten. Mutter: Ich bitt' Dich, ſprich mit ihm. Mit dem 2 David, Neigung. e Verſetzen ſich helfen, iſt ſo ſchwer. Das Mädel merkt gleich, wenn's wo fehlt, und das bißl Reſpekt, das ſie vor einem haben ſollte, iſt hin. e Das bißl Reſpekt! Mutter (verzweifelt): Mach' mich nicht noch nervös, Gretel! Ich bitt' Dich drum, Gretel. Dienſtmädchen (meldet): Gnä' Frau, die Wochenrechnungen ſind ge— kommen. Vom Bäcker und vom Fleiſcher. Mutter (zuckt hilflos mit den Achſeln). Dienſt mädchen: Sie können nicht mehr warten, ſagen ſie. Oder ſie laſſen nichts mehr aufſchreiben. Mutter: Man hat ſie noch immer bezahlt, und man wird's wieder. Dienſtmädchen: Ja, aber der Fleiſcher ſagt, es war noch nie ſo viel beiſammen. Und es wird immer ſchwerer, da ein Geld zu kriegen, ſagt er. Und er muß auch ſeine Steuern bezahlen. Und wenn der Herr Köſtler tauſendmal ein Herr v. Köſtler iſt, ſo kriegt er doch für ſein von nicht einmal beim Greisler was, ſagt er. Wiſſen Sie, er iſt ein i Grobian, ſonſt aber ganz ein lieber Menſch, gnä' Frau. Und der Bäcker! Ui, der is gar grob. Mutter: Sie müſſen bis zum Erſten warten. Dann ſollen ſie alles bekommen. Es iſt nicht mehr lang. Dienſt mädchen: Hab' ich ihm ſchon ſelber geſagt. Aber, hat er geantwortet, dann können wir auch bis zum Erſten auf ein Fleiſch warten. Das kann lieb werden. Poldi (ſehr ruhig): Das iſt doch wohl nicht Ihre Sorge. Dienſtmädch en (mit einem ironiſchen Knix): Sehr wohl, gnädiges Fräulein! (Im Abgehen wiſpernd zu Grete): Der Herr wartet wieder unten. Grete: Er ſoll nur warten. (Dienſtmädchen ab.) Poldi: Was wiſperſt Du mit dem Mädchen? Nichts, was Dich angehn möcht'. Sonſt hätt' ich doch laut geſprochen. Poldi: Beer Grete: Na, willſt mir vielleicht ein Dreier in Sitten geben? 2* UN A Po ldi (will auffahren, bezwingt ſich aber): Na, na! Nur ſtad ſein! Es dauert nur eine Stund'. Mutter: Poldi, ich ſtaun' über Deine Geduld. Und was ſoll das Sprüchel heißen? Poldi (ſeehr ſchlicht): Das lernt man ſo in der Schul'. Anfangs, wenn die Kinder alles daran geſetzt haben, um mich zu ärgern und ſo viel ſchlimm waren, wie ich ſelber noch jung und ſo ein biſſerl unbeholfen geweſen bin, da hätt' ich am liebſten drein⸗ geſchlagen. Und da hab' ich mir das Sprücherl vorgeſagt: „Na, na! Nur ſtad ſein! Es dauert nur eine Stund'.“ Und dann hab' ich geſehen, es geht mit 3 Geduld gut und immer beſſer. Grete: „Vademecum für angehende Lehrerinnen,“ verfaßt und herausgegeben nach eigenen Er: fahrungen von Leopoldine v. Köſtler. Poldi: Grete, ich bitt' a san a denn 130 1 a thun? e — wur Grete: Poldi: Ich bitte Dich, das iſt doch unmöglich. Wo Nein. — 21 — man ohnehin nicht das Beſte über Deinen Fort⸗ gang hört und man in der Schule ſehr unzufrieden -mit Dir iſt. e 5 Grete: Na alſo. Erſt ſpioniert fie hinter mir und dann vernadert ſie mich, die Heilige. Und ich will durchfallen. Anders bekomm' ich die ewige Lernerei nicht los. Das ſeh' ich ſchon. Poldi: Komm', ich will Dir helfen. Wir arbeiten zuſammen. 5 8 Grete (raunzend): Ich mag nicht. Ich will ſpazieren geh'n. Mutter: Laß ſie. Mit der richteſt Du nichts. Aber jetzt geht man nicht ſpazieren. En Grete: Ich kann mir's nicht ſo einrichten, wie die Poldi, daß ſie von der Schule nach Haus ſpazieren geht und ſich dabei vom Herrn Dr. Auguſt Weißl begleiten läßt. Bei mir zahlet ſich ſo eine Be⸗ gleitung nicht aus, wo es nur ein paar Schritte zu uns ſind. Aber da, da kann man ſich in ſeinem Beruf vervollkommnen und mit Liebe er⸗ füllen dazu. Poldi: Grete, was ſprichſt Du da? 8 — 0 7725.72 Grete: Schaun Sie ſich fie nur an, Mutter, ob fie nicht rot geworden iſt? Ich hätt' gewiß nichts geſagt. Ich bin kein ſo Muſterkind, wie Du eins biſt. Aber wenn Du Deine eigene Schweſter verzündeſt, wo ſo alle auf mich hacken, dann muß ich Dir zeigen, was Du für eine Heilige biſt. Poldi: Grete! Um Gottes willen, u werden doch u glauben, ° an ee Wrete: Glauben Sie's nur, Mutter, oder beſſer, gehen Sie ihr einmal bis aufs Eck nach. Poldi: Jetzt IN ‚oder ich vergeß mich. eee, Willſt mich vielleicht auf Erbſen knien laſſen? Aber das iſt ja geſetzlich nicht mehr geſtattet. Poldi: Piu, wie ordinär! Grete (nachäffend): Pfui! Pfui ſolang Du willſt, und jetzt geh' ich. Beim Vater vertret' ich's ſchon. Mutter: Dableiben wirſt! Kinder, um Gotteswillen A na er zankt's nicht. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht, und jetzt fangts Ihr mir auch noch an. Grete: Soll die Poldi eine Ruh' geben. Poldi: Mutter, Sie ſind Zeugin Grete: Willſt vielleicht einen notariellen Akt auf⸗ nehmen laſſen? Du ſekierſt mich immer. Immer ſtichelſt Du auf mich. (Singt): „Und jede Deiner Mienen klagt mich an ...“ Mutter: Kinder, Ihr bringts mich um. ſehr Poldi: raſch. Gretel, das iſt doch u 5 8 5 | ee — Ja, ja, ich vertrag' das hie rbb Ge⸗ fühl Deiner Vortrefflichkeit nicht. Ich will Dich ſchon herauskriegen. Du ſollſt ſehen, wie ſchlecht das iſt, wenn man ſeine eigene Schweſter immer in den Schatten ſtellt. (erwiſcht Mäntelchen und Hut, will, beides in der Hand, ſchleunig ab, ſtößt in der Thüre auf Köſtler.) Koller: Wohin on ſo ſchleunig? F Me Jeſſas, der Vater! Wie kommen Sie denn er, ſo geſchwind zurück? Das iſt ja gegen die Natur! Köſtler (rauchend, ſehr erregt): Weil ich Euch was Gutes zu ſagen habe. Mutter (mißtrauisch): | So? Koller: Was ſehr Gutes. Was ſehr Glückliches. Kinder, ich bin froh! Ich hab' ihn! P o ldi (neugierig teilnehmend): Wen haben Sie denn Vater? Grete (fjäut raſch ein): Wen denn? Das kannſt Du Dir doch denken? Den Geldgeber! Roötler: Du biſt mein klügſtes Kind, mein Herzens⸗ mäderl. Und ich laß nichts auf Dich kommen, nicht ein Haar. Ja, ich hab' ihn endlich und 1 dee eee RN 9 Alle. Wer iſt's denn? Köſtler: Ein ſehr reicher Herr. Einen Unnumerierten hat er. Und wie er im Kaffeehaus gezahlt hat, da hab' ich geſehen, er hat die Brieftaſche voll mit t Tauſendern gehäbt. eee, n Get e: Gleich Tauſender? Anders thut er's nicht? Und wie heißt er denn? Köſt ler Das, das iſt noch Geheimnis. Aber ſicher its. Fragt's nur den Klaus! Klaus! Klaus! ... Ja ſo, der iſt nicht da. Der iſt gleich mit dem Herrn gefahren. Mutter: Aber ſo gar ſchnell warſt wieder da. Kö it ler (großartig): Ich bitt' Dich, wenn Männer handeln, und Männer, die wiſſen, was ſie wollen... Poldi: Wie war's? Wie war's? War er lieb zu Ihnen? Köſtler: Lieb, das iſt zu wenig. ſag' ich ( Euch.. 2 0 Grete: Großartig, das iſt ein etwas vager Begriff, möcht' mein Herr Profeſſor ſagen. K ö lie r: Alsdann, der Klaus ruft mich. Das wißt Ihr ja. Und ich geh' mit ihm ins nächſte E PN s war großartig, NUR Kaffeehaus, g'rad gegenüber. Wir kommen hinein, ſitzt der Herr ſchon da. Der Klaus kennt ihn ſehr gut, ſtellt vor. Ich ſchau' mir ihn an. Na, Menſchenkenner bin ich und hab' mir gleich gedacht: „Der iſt's oder keiner.“ So was Feines hat er an ſich gehabt und draußen iſt der Fiaker geſtanden — pickfein muß ich Euch ſagen, ich wünſch' mir ſelber keinen beſſern, wenn ich einmal meinen hab'! Der Herr iſt ſehr lieb. „Sie beſchäftigen ſich mit Erfindungen?“ fragt er mich. „Ja, natürlich,“ gebe ich zur Antwort. „Haben Sie ſchon Patente angemeldet?“ „Ja,“ ſag' ich; „Da ſpießt ſich's eben mit dem Geld. Aber Ideen hab' ich, fertige Ideen für wenigſtens zwanzig Patente. Eine beſſer, wie die andere.“ „Na, dann ſollt's doch nicht ſo ſchwer ſein, einen Kapitaliſten dafür zu gewinnen?“ meint er. „Ich ſelber intereſſiere mich lebhaft für er— finderiſche Talente.“ Na, und ich lach' vor Freuden: „Da werden S' ſchau'n, wenn ich Ihnen erſt einmal meine Ideen entwickl'!“ „Das zu wird ſich ſchon noch Gelegenheit finden,“ ſagt er. „Ich komme bald wieder her, und der Herr Klaus wird uns ſchon in Verbindung erhalten.“ Steht auf, grüßt mich wirklich reſpektvoll, ich und der Klaus begleiten ihn zum Wagen, und der Klaus ſteigt mit ihm ein. a BERND NR Mutter (argwöhniſch): Hat er ſeinen Kaffee gezahlt, der Klaus? Köſtler: Nein. Das kann ich doch nicht von ihm verlangen, wo er mir ſo einen Dienſt erwieſen hat. Und ein Cigarrl hab' ich mir ſpendiert! Du, Alte, das ſchmeckt gut! Und heut' Abend muß ich ins Wirtshaus, damit die auch ſchau'n. Der Jean ſchreibt mir ſchon auf. Und her⸗ gerannt bin ich, damit Ihr auch eine Freud’ _ Dhabi... Grete: Vater! Es iſt doch ein wengerl wenig, wie die Hausmeiſterin ſagt, wenn man ihr fünf Kreuzer fürs Aufſperren giebt. Köſt her (erregt): Ein wengerl wenig?! Alles iſt's! Fragt's nur den Klaus! Und ſtört mich nicht jetzt, wo ich arbeiten muß, wie noch nie in meinem Leben. Was fangt man nur an? Womit fangt man nur an? Ich denk, mit meinem Meiſenkaſten. Das iſt das Rechte! Das iſt eine Idee! Poldi: Mit Deinem Meiſenkaſten? Ja, was iſt das wieder, Vater? — — DREHEN WAR Köſt ler (eifrig docierend): Ein ganz ein ſicherer Artikel. Denk' Dir, es iſt ſtatiſtiſch erwieſen, daß allein in Oſterreich⸗ Ungarn jährlich viermalhunderttauſend Buben ins Vogerlfangen geh'n... P ol di (ſehr gutmütig): Nein, kümmert ſich denn die Statiſtik auch darum? - Köſtler: Stör' mich nicht! Alsdann, ich will rechnen, es kaufen davon nur zweimalhunderttauſend meinen Meiſenkaſten, oder vielmehr die Eltern kaufen ihn, weil ſich die Buben immer in die Finger ſchneiden und häufig bösartig verletzen, wenn fie daran herumbaſſeln. So daß man meinen Artikel als einen im Grunde notwendigen und eminent ſanitären bezeichnen könnte, der überdies noch den Vorteil bietet, daß er mit zwei Handgriffen ein 8 Vogelhaus bildet. Grete: Sind gleich Spröſſerln drin? Köſtler (wirklich zornig): Grete! Mußt mir auch meine Freud' ver⸗ derben? Ich red' nichts mehr! Grete: Nein, nein, ſind Sie wieder gut, Vater! N aa eee Na alſo! Und um fünfzig Kreuzer geb' ich den Kaſten. Das iſt doch gar kein Geld. Das kann ein jeder, auch der Armſte, opfern. Und ich hab' ſchon berechnet, mich koſtet er alles in allem mit der Verſendung und den Inſeraten ſechzehn Kreuzer. Das macht einen reinen Nutzen von vierunddreißig Kreuzern per Stück! Mich ſchwindelt's Kinder! Das ſind ſchon im erſten Jahr allein für uns zwei achtundſechzig⸗ tauſend Gulden! URN a 6 rete (ſehr breit): Nachher ſind wir aus dem Waſſer. (Der Vorhang fällt raſch.) II. Aufzug. Scene wie im erſten Akt. Vormittag gegen !/a11 Uhr. Poldi, beſſer angezogen als geſtern, bei ihren Heften. Grete über einem Buch. Köſtler am Tiſch. galt ber. Die Mutter könnt' aber auch ſchon zurück ſein. Poldi: Es iſt eben weit, wenn man dort einkaufen muß, wo es am billigſten iſt und wo man's be⸗ kommt. Kö ſt her: Ich bitt' Dich, ſchau nach, wie ſpät es iſt. Sie warten auf mich. Pd So um ½11 herum. Kofler: Wenn ich nur nicht jo Kopfweh haben wollt'! Aber, bevor man den Leuten begreiflich macht, um was alles es geht bei ſo einer Sach'! Da hab' ich's Ihnen gezeigt und erklärt: Seht Ihr, ſo macht man's und da ſitzt eine Feder und da BE NE I? drückt man und dann wird's jo. Bis einem ganz trocken im Hals wird und man trinken muß, um weiter reden zu können. Und immer kommen ſie mit einer neuen Frage, immer wieder dümmer wie die frühere, bis man auf den Tiſch haut in ſeiner Zornigkeit. Dann haben ſie ihre Hetz und lachen in ſich hinein. Poldi: Sie ſind auch gar zu erregbar, Vater. Sie Per: Bin ich. War noch jeder Köſtler. Weil es in uns immer kocht, und da kocht es denn manchmal auch über. Und wo kein Menſch auf einen eingeht oder ſich die Mühe giebt, einen zu verſtehen! Wenn nicht der Klaus wär'! Und kein Menſch nimmt die mindeſte Rückſicht auf einen. Zum Beiſpiel, die Mutter könnt' wirklich ee, e Be Grete ſ(chlägt ihr Buch zu): Warum warten S' denn auf ſie? Köſt ler: Na, wir haben uns ſeit geſtern noch nicht geſprochen. Und ſie war zornig, ſehr zornig war ſie, wie ich zu Nacht nach Hauſe gekommen bin. Und hat geweint. Und da, wie ſie weggegangen iſt in der Früh', da hab' ich ſie gehört, aber ich i hab' mir gedacht, ich bin doch der Herr im Haus, ich bin der Mann, ich geb' nicht nach und fang' nicht an. Und wenn einer die Familie erhält und ſich opfert für ſie, wie ich, ſo muß man ihm etwas nachſehen und nicht maulen mit ihm wegen jedem Glas, das er ſich auf ſeine viele Plage ver⸗ gönnt. Hab' ich recht, oder nicht, Kinder? Grete (macht ſich zum Ausgehen fertig): Sie wird ſchon wieder gut, die Mutter. Poldi: Wohin willſt denn, Gretel? Grete: In die Kirche muß ich. Man hat's jetzt gern, wenn man uns oft in der Kirche und recht andächtig ſieht. Poldi: Das kann wohl wahr ſein. Grete: Du! Fangſt ſchon wieder an? Noch dazu vorm Vater? Poldi: Ich hab's wahrhaftig nicht ſo gemeint. Und wohin möchten Sie denn, Vater? Damit ich's der Mutter ſagen kann, wenn ſie nach Hauſe kommt und nach Ihnen fragt. ER ER Köſtler: Ich bitt' Dich, wenn man ſo Kopfweh hat. Wohin eben eben jeder beſſere Menſch am Sonntag Vor⸗ mittag geht geht. 5 Grete: Alſo auch in die Elfer⸗Meß. Köſtler (geht auf und ab, ſpricht nichts, trommelt an den Fenſterſcheiben.) Poldi: Ich bitte Sie, Vater, ich hab' zu thun. Mutter (mit einem Einkaufskorb): So, das Mittageſſen wär' da. Poldi: Sie ſind müd', Mutter? Mutter: Es wird mir immer ſaurer. Die vielen Stock', die weiten Weg' und die vielen, vielen Jahr! Poldi: Ich werd' ihn in die Küche tragen. Mutter (verwundert): Was Dir nicht einfällt! Die Jahre her thu' ich alles allein. Dazu hab ich's Euch nicht lernen laſſen, damit Ihr's nicht beſſer haben ſolltet, wie ich. David, Neigung. 3 \ a RA Köſtler: Biſt noch bös, Annerl? Mutter: Nicht mehr, wie immer. Köſtler: Du ſollteſt es aber heute gar nicht ſein! Wo wir vielleicht endlich am Wendepunkt unſeres Schickſals ſtehen! Wenn man da ſchon in der Freud' ein biſſel zu viel thut, da ſollteſt Du nicht bös ſein auf mich. Mutter: (wiſcht ſich die Stirne, ſteht mühſam auf): Wenn man nur endlich was davon ſehen könnt'! Köſtler: Wirſt ſchon! Wirſt ſchon! Und eher und beſſer als Du ſelber denkſt. Mutter: Die Litanei kenn' ich, Pepi. kee Na alſo, Pepi hat fie gejagt. Und paß nur auf, wie Dir nachher das gute Leben ſchmecken wird. Das weiß nur unſereins, der ſich ſo ge⸗ plagt hat, wie's nachher iſt, wenn alles geht, wie es gehen ſoll. — 35 — Mutter: Du haſt Dich geplagt? Du haſt Dir was abgeh'n laſſen? Köſtler: Na, Wortklauben mußt nicht. Wir haben uns geplagt. Redlich, die ganze Zeit her. Und meinſt, mir hat nicht das Herz weh gethan, wenn Du Dich gerackert haſt, wie keine Magd? Mut e Du haſt Dein Herz früher gut verſteckt. Laß das. Ich hör' nicht gern davon. Köſtler: Überhaupt ſo gar ſchlimm war's ja nicht. Unſere Kinder haben wir erzogen.... Mutter: Wir? Und bis auf die Gretel! Köter: Wir haben fie gottlob verſorgt ... Mutter: Wir? Und wieder bis auf die Gretel! Köſtler: No ja, Du haſt aufs Lernen gedrungen. Aber ich bin kein Freund davon geweſen; nicht für mich, nicht für andere. Hat's einer in ſich, 3*+ BU NE jo hat er's. Wenn nicht, jo nutzt's nichts. Wir Köſtlers haben's in uns. Mutter: Was denn? Köſtler: Und die Gretel war niemals fürs Studieren. Wär' ſchad' um die Spitzbubenaugen. Die will ich verſorgen. Ich! Und das wird dann ein anderes Geſicht haben, als die kommunale An⸗ ſtellung. Ob mir nun der das Geld borgt oder nicht, das iſt mir nachgerade gleich. Ich muß darangehen, meine Ideen zu realiſieren. Millionen gehen Jahr für Jahr durch meine Hände, Millionen ſag' ich. Mutter: Um Gotteswillen, Du wirſt doch nicht! Köſtler: Hund beim Heu ſein? Der Hund hat's leicht, denn er frißt kein Heu nicht. Ich aber Mutter: | Köftler, um die Barmherzigkeit Gottes, Du wirſt doch nicht. Köſtler: Gewiß werd' ich nichts Unrechtes thun, Narrerl. Aber ich denk' mir fo: Wenn ich be- a ſtimmt weiß, welches Los den Haupttreffer macht, und ich weiß, morgen oder meinetwegen erſt in einem Monat iſt die Ziehung, und das Los iſt jetzt zu kaufen und nur jetzt, und ich hab' das Geld darauf nicht, aber ich hab's in Verwahrung und ich kann's zurückgeben reichlich und mit Zinſen, ſo werd' ich kein Eſel ſein und das Los nicht kaufen. (Ab.) Mutter: Du redeſt doch nur ſo. (Zu Poldi): Noch eine Sorg' mehr. Wo denkt der Mann nur wieder hin? Poldi: Sie wiſſen ja ſehr gut, Mutter, der Vater muß nicht immer was denken, wenn er was redet. Es iſt ihm eben nur was eingefallen. (Setzt ſich zu ihrer Arbeit, Mutter ab in die Küche, kommt aber augenblicklich wieder.) Mutter: Ein Fräulein iſt da und möcht' wen ſprechen. Willſt? Ich kann nicht. Poldi: Kenn' ich ſie? Mutter; Ich glaub' nein, ich kenn' ſie gewiß nicht. Poldi: Bitt' Sie, Mutter, bleiben Sie da! Sie DU NR wiſſen, ich fürcht' mich vor jedem fremden Menſchen. Mutter: Haſerl! Ich kann aber die Marie doch nicht allein in der Küche laſſen, wo wir ein beſſeres Mittageſſen auf dem Herd ſtehen haben. Sie bat bleierne Händ'. Was hineinfällt, das ift auch ſchon hingemacht. | Poldi: Alſo, in Gottes Namen. Mutter (ab. In der Thür erſcheint Liſi Klein.) ifi Sie entſchuldigen, Fräulein! Aber Herr Felix v. Köſtler iſt nicht zu Hauſe? Poldi: Nein, Fräulein. 2ise Gottlob! Poldi (verwundert): Gottlob?! Alſo, wünſchen Sie von mir etwas? e Nein. Aber Sie entſchuldigen noch einmal. Ich heiße Liſi Klein. Vom alten Trafikanten Klein, der früher einmal neben Ihnen gewohnt hat, die Liſi. ge Poldi: Ich erinnere mich nicht. gilt: Iſt auch gar nicht nötig. Wo ich noch jo klein war, wie Sie ausgezogen ſind. Der junge Herr v. Köſtler hat freilich ein beſſeres Gedächtnis. Ich bin nur hergekommen, weil ich mir gedacht habe, er iſt vielleicht krank. Und deswegen hab' ich geſagt: gottlob, wie ich gehört hab', er iſt nicht zu Haus. Poldi: Möchten Sie nicht Platz nehmen, Fräulein? isi Wenn Sie erlauben. Nur damit ich Ihnen nicht den Schlaf austrag'. Aber (ſehr herzlich) Sie dürfen Ihrem Herrn Bruder nicht ſagen, daß ich da war. Er hat mir's ſehr verboten, herauf⸗ zukommen. Und wiſſen Sie, er kann ſo ſtreng und grauslich ſein, daß man ſich fürchtet. Poldi Ich weiß das, Fräulein. Liſi: Macht nix. Könnt' er ſonſt auch ſo lieb ſein, wie er es ſein kann? Und das kann er, und wie! RU Auge Poldi: Lind: Gehn S', Fräulein! Aber eigentlich könnt“ ich jetzt geh'n. Krank iſt er nicht, der Felix. POUR Nein, krank iſt der Felix nicht. eiji (lacht gutmütig): Na alsdann, ſo hätt' ich mich verplauſcht. Aber Sie werden mich nicht verraten. Wenn wir Mädel untereinander nicht zuſammenhalten. ſollten! So 2! Poldi: Gewiß, ich kann ſchon ſchweigen. Li Und Sie wollen mir nicht ſchaden; nicht wahr nein? Denn, wenn er bös iſt, der Felix, dann. iſt er ſo zu einer, daß man ſich am liebſten gleich was anthun möcht'. Zum Beiſpiel ins Waſſer. Und gerad darum hab' ich ihn ſoviel lieb. Denn wenn ſo einer nicht auch gut ſein könnte, daß man in einer Stunde eine Wochen vergißt — Fräu⸗ lein, wär' das nicht ſchrecklich auf der Welt? Pod Fräulein?! ii Nicht wahr? Und er iſt ein anſtändiger e Menſch und ein aufrechter Mann, und was er verſpricht, das hält er und das gilt und er kennt keine Lüge? Poldi (unſicher): Ich denke ſchon. Er iſt freilich eigen. Liſi: Ich danke Ihnen. Sie wiſſen nicht wie! Ich danke Ihnen. Wenn Sie nur wüßten, wie und wie lang ich mich geängſtigt hab', bis ich da heraufgelaufen bin! Eine Wochen hab' ich ihn nicht geſeh'n, mit keinem Aug', wo er früher jeden Tag da war, bei mir in der Trafik. Und auf keinen Brief hat er mir geantwortet, wo ich ihm täglich geſchrieben hab'. Und nicht reden dürfen!! Nicht einmal zum Vater!! Bulo?: (mit plötzlicher Herzlichkeit Liſis beide Hände ergreifend) Sie armer Kerl! Life Na, jo ſchlimm iſt 's ja nicht, noch nicht Man hält ſchon was aus. Aber die Angſt auf der Stiegen! Wie wird man Dich; aufnehmen und wie Dich anſchau'n? Fräulein! Sie ſind ſo ruhig, und Sie wiſſen gar nicht, wie das iſt, wenn man geglaubt hat — jetzt kommſt ins Himmelreich und dann ſteht man wieder auf der e Erd', und es regnet und iſt windig, und alle Thüren ſind zu, und man weiß ſich keinen Unter⸗ ſchlupf mehr. Und Sie haben was gelernt und ſind gut und wiſſen nicht, was das heißt, jemanden ſo gar lieb zu haben. Boldt: Hängt das mit dem Lernen zuſammen? Vielleicht weiß ich 's doch. 2m: Ich danke Ihnen, Fräulein. Jetzt bin ich ſicher. Und froh bin ich, daß ich da war und Sie kennen gelernt hab'. Mit ſo einer Schweſter wird er doch nicht anders ſein. Und eine Bitte! Könnt' ich mir nicht ſein Zimmerl anſeh'n? P oldi (verwundert, öffnet die Thüre): Ja, warum denn? Ich bitte. Silit: Ich möcht' doch gern willen, wie er's gern hat und wie er's gewöhnt iſt. Hübſch hat er's! Und ſo in Ordnung! Bolt: Dafür ſorgt ſchon die Mutter. Sitz Alsdann, jetzt geh’ ich. Ich komm' jo ſchwer fort Vormittag. Wo's ſoviel zu thun giebt im BR AL Geſchäft. Und der Vater iſt alt und jähzornig und hat die Gicht. Und ich hab' ihm ſagen müſſen, ich geh' einmal in die Meß. Der liebe Gott wird mir's verzeihen. Poldi: Das wird er gewiß. Und zu mir können Sie immer kommen. Bit: Dürft' ich? Aber das geht ſo nicht. Viel— leicht jpäter einmal. Ich vertrag’ mich jo gern mit jedem. Was könnt' ich nicht alles von Ihnen lernen, Fräulein? Poldi: Nicht mehr, als ich vielleicht von Ihnen, Liſi. ee Gehn S', reden S' nicht fo! So dumm bin ich wieder nicht, daß ich nicht merken ſollt, wenn man mich frozzelt. Und, Fräulein, es ſteht Ihnen nicht einmal. Poldi: Es war mein Ernſt. Und damit Sie jeden... (Küßt ſie in einer Wallung.) EUR Fräulein? Poldi; | Sie find ein lieber Kerl! Und ich hoffe, es wird Ihnen ſo, wie Sie's verdienen. ta. Wale Stimme der Mutter: Dr. Auguſt Weißl läßt fragen! | Boldt: Gleich! Jetzt kann ich Sie nicht mehr halten, Fräulein! Behüt' Sie Gott, Fräulein Liſi. Und wenn Sie einen Rat brauchen ſollten .. i Lieber nicht. Dann bin ich ſchon verloren, wenn ich erſt einen Rat holen ſoll. (Ab.) g P oldi (an der Eingangsthüre): Herr Doktor! Herr Doktor! Weißl (eintretend): Guten Tag, Fräulein. Po bd Es iſt ſo hübſch, wenn einer pünktlich iſt. Aber freilich, das lernen wir. Weißl: Gewiß, das lernen wir von amtswegen. Poldi: Wollen Sie ſich's nicht bequem machen, Herr Doktor? Weißl: Wenn Sie's erlauben, Fräulein? Poldi: Warten S' ein biſſerl. (Ab, kommt augenblicklich RER RE mit einer Flaſche Wein und zwei Gläſern.) So. Man will doch am Sonntag Vormittag auch was haben. (Schenkt ein.) Weißl: Aber ſtör' ich Sie nicht, Fräulein? Ich ſehe da Bücher aufgeſchlagen, ſehe Hefte hergerichtet ... Poldi (dacht): | Die! Das iſt auch Jo eine Beſchönigung für meine Faulheit. Die liegen ſeit Samstag Nach⸗ mittag da. Ich hab' auch noch Zeit damit. Alleweil iſt mir was dazwiſchen gekommen, alle— weil was, wovon man ſich nicht ſo gern ſtören läßt, wie von Ihnen. Weißl (mit einer Verbeugung): Ich danke ſchön, Fräulein. Poldi: Na, na. Übrigens Herr Doktor, das Buckerl⸗ machen iſt gerade nicht Ihre ſtärkſte Seite. Weißl: Ich habe mich deſſen in meinem Leben auch ſehr wenig befliſſen. Pod Das glaub' ich Ihnen. Und nehmen Sie mir das Wort nicht übel, wo wir jetzt doch ſchon hübſch lange Kollegen ſind und gute Freunde. Trinken wir eins darauf? Ba BR Weißl: Ich bin zwar nicht gewohnt, Vormittag Wein zu trinken — aber ... (er klingt an.) 50 89 Herr Doktor, ich geſtatte mir, Sie bart aufmerkſam zu machen, daß man einander dabei anzuſehen pflegt. Weißl (erhebt nochmals ſein Glas): Alſo, auf gute Kameradſchaft, Fräulein v. Köſtler! Poldi: Fräulein v. Köſtler! Ich glaube dahier hat mich noch niemand ſo geheißen. Es kommt mir bei mir zu Haus ſo fremd und ſo feierlich vor. So wie wenn ich in einer Atlasroben Zimmer räumen ſollt'. Gar heute. Ich hab' den Sonn⸗ tag ſo gern. Keine Schul', keine Stund', kein Verdruß. Man nimmt eine Arbeit vor, nur damit man fie wegſchieben kann — Du wirſt doch nicht, wirft doch nicht, an jo einem Tag. Und das Faulſein thut einem ſo wohl! Denn Sie ahnen nicht, wie müd' ich manchmal bin. Weißl: Ich kann mir's denken. Sie ſind nicht ſehr empfänglich für's Franzöſiſche, unſere czechiſchen Ziegelarbeiterskinder und unſere Urwiener in Favoriten. — 47 — Poldi: Nein, das ſind ſie nicht. Und man möchte doch etwas leiſten, wenn man ſchon das ſplendide Gehalt von 33 ½ fl. monatlich dafür bekommt. Dazu das Elend unter den Kindern. Da ſind immer welche — man muß ſie ſich nur anſeh'n und man weiß ſchon, ſie möchten ſo gerne mit und ſie können nicht vor Hunger und weil der Vater in der Fabrik iſt und die Mutter geht ins Waſchen und ſie ſollen auch noch auf Jüngere acht geben. Ich möcht' reich ſein, um da helfen zu können. Weißl: Wenn ich reich wär', ſo wüßt' ich mir was beſſeres. Poldi: Was beſſeres? Nein, lieber Doktor! Was anderes vielleicht! Was beſſeres gewiß nicht Und Sie reden auch nur ſo. Sonſt wären Sie doch nicht Bürgerſchullehrer geworden, mit Ihren Verhältniſſen und Ihren Fähigkeiten. Ich bin recht gern in der Schule. Und mein Sonntag freut mich hauptſächlich deshalb, weil ich mich die Woche geplagt hab' und nun kein Elend vor mir zu ſehen brauch'. Wir ſind ja eben nicht reich, aber mir gefällt's bei mir zu Haus. Weißl: Sehen Sie, Fräulein, wenn ich Sehen ge⸗ worden bin, jo war das durchaus nicht meine Wahl. Das waren die Verhältniſſe, die Ausſichts⸗ loſigkeit eines höheren Strebens, die Unluſt an einem unſicheren Leben, die Sehnſucht nach einem feſten Beruf. Und wenn man das nicht erreichen kann, was man wollte und ſich vorgeſtreckt hat — Du lieber Gott, man iſt ja dumm in der Jugend und überſchätzt ſich. Und das iſt gut, weil man zu gar nichts käme, wenn man ſich nicht zuviel vornehmen möchte. Alſo, dann lernt man ſich beſcheiden, kriecht wo unter und iſt mit allem zufrieden. Aber der Sonntag iſt mir ſchrecklich. Ich muß vom Hauſe fort, weil mein Zimmer geräumt wird und ich kann nicht in die Schule und mag nicht auf die Kneipe, den Rauch vertrag' ich nicht, ich hab' nie geraucht, einmal war mir's zu teuer, jetzt mag ich nicht mehr, und ich erkälte mich jo leicht .. Po di Sie ſollten eben wen haben, der acht giebt auf Sie, Ä Weißl: Danke für die gute Meinung. Und dazu kommt noch dieſer greuliche Nachmittag. Was erſt da? Ich tauge nicht zum Vereinſpielen. Ich bin mir zu gut dazu, um mir von einem vorkauen zu laſſen, was er geſtern erſt gelernt EB hat, von einem, der viel weniger weiß, wie ich, und ſich natürlicherweiſe mit jedem Brocken freut, den er irgendwo aufgefunden hat. Und weiter⸗ ſtudieren, das hat doch gar keinen Zweck. Poldi: | Muß denn alles auf der Welt einen Zweck haben? Weißl: Sie ſprechen eigen! Poldi: Ich hoffe. Es ſpricht mir's doch wenigſtens niemand vor. Wẽ̃ e i ß l (ſchroff): Und kurz, ich mag den Sonntag nicht. Er zwingt mich zum Denken. Verkehr habe ich keinen. Komme ich wohin, ſo weiß ich, über eine Weile ſehnen mich die Leute fort und gucken verſtohlen nach der Uhr. Poldi: Iſt mir doch noch nie eingefallen. Und ich denke, wir ſind ziemlich viel beiſammen. Weißl: | Sie! Sie find doch ganz was anderes! Oftmals denk' ich mir, ſchade, daß Sie ein Mädchen ſind. Da vid, Neigung. 4 DRUM Poldi: NG A Trinken wir noch eins. Auf die Zeit, wo Sie ſich auch auf den Sonntag freuen werden. So. Jetzt war's doch ſchon viel beſſer. Sie haben einen guten Kopf. Weißl (dacht): Das ſollte man doch begreifen können. (Stößt noch einmal mit ihr an.) Botlon: Und Sie haben Freud’ zum Lernen. Mancher begreift's nicht. Und es iſt wichtiger, als man glaubt. Ich hab' immer gern gelernt. Immer und alles. Und ich bleib' nicht beim Fran⸗ zöſiſchen allein. Ich will die Prüfung aus den Realien noch machen, ich will definitiv werden. Ich hab's von der Mutter. Weißl: Sie wollen jetzt noch? Poldi: Ja! Sie denken ſich freilich, na, das hat doch keinen rechten Sinn, wo die ſo alt iſt! Aber ich will. Ich will mich einmal ganz ſelber ver⸗ ſorgen, weil's mich kein anderer wird. Der Vater? Er iſt der beſte Menſch, und wenn Sie nur wüßten, ein wie kluger Menſch er iſt! Voller Gedanken, voller Einfälle. Nur eben, er hat e kein Glück. Aber was ich Ihnen jetzt erzähle, das wird Sie doch gar nicht intereſſieren. Weiß: Sprechen Sie nur. Ich ſtaune, wie tüchtig, wie gelaſſen, wie überlegt Sie ſind. Poldi: Gehn S' doch! Das bin ich nicht gewöhnt. Unter den Geſchwiſtern bin ich wohl die Mindeſte. Weiß!l: Geſtatten Sie mir, anderer Meinung zu ſein! | Poldi: Und ich bin gar nicht ſo überlegt. Wenn ich für mich allein bin, ſo denk' ich mir gern Märchen aus. Die erzähl' ich dann einmal alle vierzehn Tag’ in der Erzählitund. Wenn Sie nur einmal dabei wären, Sie möchten gucken, wie die ſchau'n. Weißl: Sie bringen Ihnen Poeſie, Ihre eigene Poeſie bringen Sie den Kindern der Not. Poldi: Wenn Sie ſo wollen, mir iſt's ſchon recht. Da hab' ich mir heute eins ausgedacht. Oder es geht vielmehr ſchon lang mit mir herum. 4 * e Weißl: Erzählen Sie's, bitte! Poldi: Aber ſtill müſſen S' dabei ſein! Ganz ſtill! Wei Bl (haſcht nach ihrer Hand): Fräulein! Fräulein Poldi! Poldi: Das war richtig. Aber ſtill ſein und in der Bank bleiben! Alſo: Es war einmal eine arme, arme Gänſehirtin. Sie hat bei ihren Eltern gelebt. Aber die haben das arme Mädchen durch⸗ aus nicht mögen. Und kein Menſch hat gewußt warum. Wenn ſie abends nach Hauſe gekommen iſt und ſie war ſo recht ſehr müd', weil die Gänſe flattern können und ſie mußte ihnen nach auf ihren beiden Füßen, ſo hat man ihr ihr bißchen Eſſen gegeben und hat ſie in den Stall geſchickt zu den Gänſen ſchlafen. Dann hat ſie fi mit ihrem Kittelchen zugedeckt und hat ge— träumt von einem großen, großen Glück. Und das Glück ſaß auf einem weißen Pferd und hatte Augen, die leuchteten wie die Sterne über ihr, und ſprach zu ihr mit einer ſüßen Stimme: Komm', liebes Mädchen! Liebes Mädchen, komm'! We i 5 l (wiederholend): Komm' liebes Mädchen! Liebes Mädchen, komm'! u Poldi: Still ſitzen und nicht mucken! Sonſt. Alſo: Sie iſt größer geworden und um nichts klüger. Immer hat ſie ſich umgeſchaut, ob das weiße Pferd nicht käme, feierlich und zierlich von Schritt. Und auf nichts hat ſie mehr acht gegeben vor Sehnſucht. Ihre Lümpchen ſind zerfallen und da hat die Schulter hervorgeleuchtet und da der Arm, und ihr war wirr und immer wirrer im Herzen, ganz wirr. — Aber, mir ſcheint, für die Schule wird das kein Märchen ſein!? | Weißl: Nein, für die Schule wird das kein Märchen ſein. Poldi lacht): So eine ſchlamperte Gredl! Und einmal iſt ſie dageſeſſen am Wegerain, und der Wind hat ihr das Haar genommen und es iſt um fie ge⸗ flogen wie goldene Marienfäden. Die Sonne war tief, und da hat ihr Haar gefunkelt wie nichts in der Welt. Da iſt er gekommen. Und es war ein ſchöner, ſchöner Prinz, und hat ſie angeſehen mit den Sternenaugen. Und tauſend kluge Reden hat ſie ſich ausgedacht gehabt früher, wenn er nur käme, und was alles ſie ihm ſagen wollte. Und nicht ein Wort hat ſie gewußt und ſo De AN LE klein war ſie in fih und vor dem Prinzen, und er hat die Lippen aufgethan, als wollt' er ſagennn Weißl: Komm', liebes Mädchen! Liebes Mädchen, komm'! Poldi: Doktor! — Und wie ſie geſchwiegen hat, ſo kehrt er ſein Roß und reitet fort. Und ſie ſteht da und ſpannt die Arme aus und ſieht all ihr Elend und daß das ſo bleiben muß für ewig, breitet die Arme aus, als wollte fie ihm nach⸗ fliegen — und er ſchaut ſich um und ſieht ſie und ihre Sehnſucht und jagt das Wort .. Weißl (in höchſter Bewegung aufſpringend): f Komm', liebes Mädchen! Liebes Mädchen, komm'! Po [di (an feiner Bruſt): DE RE SHE EN Und möchteſt noch, daß 10 lieber kein Mädchen wär'? Weißl: Nein, nein! Und ich hab' Dich ſo lieb! Und ſo lang ſchon! Aber Du biſt beſſer wie ich. Und klüger wie ich. Und nobler wie ich. Und, und, und, und — — und ich hab' mich nicht ge— traut BI Poldi: Du lieber Traumichnicht! (In der Thüre die Mutter.) Mutter! Dr. Weißl bleibt bei uns zu Tiſch. Wohin willſt denn ſchon wieder? Weißl: Ich möcht doch ein paar Blumen kaufen, gleich bin ich wieder da. Po ld z Gleich, ich bitt' Dich gleich! (Weiß! ab.) Mutter, ich bin Braut! Mutter: Biſt Du's? Nun alſo! Poldi; Mutter! Und ſo glücklich bin ich! Ich muß Sie küſſen, Mutter! Das hätt' ich niemals ge⸗ dacht, ich könnt' Ihnen jemals einen Kuß nur ſo in Stellvertretung geben. Niemals, nein. Mütter; Bleib's nur, Poldi! Poldi: Und Sie wünſchen mir kein Glück, Mutter? Mutter: Ich wünſch' Dir Glück. (Pauſe.) Po ld i; Mutter, Sie ſind ſo eigen, ſo froſtig. Mutterl, N EI find Sie nicht fo! Sie wiſſen, ſchon als Kind, wenn man mir was geſchenkt hat und es hat den Tag nur ein Menſch ein verdrießliches Geſicht gemacht, ſo hat's mich nicht mehr gefreut und wenn ich vorher wie närriſch damit war. Mutter: Ja, ſo warſt Du immer, leider. Poldi: Und heut, wo ich das beſte Geſchenk be— kommen hab', heut ſollten S' mir meinen doppelten Sonntag nicht verderben. Sonſt graut mir's vor der Wochen. Mutter: Graut Dir's? Jetzt ſchon? Poldi: Mutterl, reden S' nicht ſo! Oder reden S' deutlich! Mich bringt's um, wenn man ſo mit Andeutungen um mich herumgeht. Ich vertrag' nichts Unklares. Ich muß wiſſen, was man von mir will. j I Mutter. Ich hab' jetzt keine Zeit. Po ldi (Heftig): Da bleiben S'! (bittend) Martern S' mich nicht! Ich bitt' Sie Mutterl! Aber mir hat man niemals eine Freud’ gegönnt! — Niemals und von kleinauf nicht! Das war immer fo. Mütter: Na, na! Das iſt wieder nicht Hk das weißt bei Dir ſelber. Polos: Wahr iſt's .. Oder gönnen Sie mir's jetzt? Ich bin glücklich, und Sie machen ſo ein Geſicht, daß es mich friert. Mater; Ich hab' jetzt keine Zeit. Bis Du ruhiger Bit, Poldi: Jetzt, Mutter, jetzt? Oder ich weiß nicht, warum ich allein mich nicht freuen ſoll, wo's eine jede thäte. Sagen Sie's mir! Me Haſt mich denn um meine Meinung gefragt? Du oder ſonſt einer? Und auch nur einmal und in einer Sache? | Poldi: Sie ſehen aber, ich zittere darauf. Und ich hätte keine ruhige Stunde, eh' ich's nicht gehört hab'. | Mm utter: Willſt? Willſt wirklich? n Poldi: Ich bitt' Sie zum letztenmal 5 Mutter: Ich brauchet eigentlich gar nichts zu reden. Schau mich an, Poldi! Poldi: Nun? .. . Und, Mutter? Mutter: Meinen Weg willſt Du gehen, und ich ſoll mich freuen? \ Poldi: Mutter! Mutter! Mutter! Mutter: Geſchwiegen hab' ich, dreißig Jahr' lang ge⸗ ſchriegen. Und was ich geſprochen hab', das war nur, damit man nicht glaubt, da geht ſo ein Stummerl unter Euch herum. Oder wenn ich gelacht hab', ſo hab' ich's nur, weil ich ge⸗ glaubt hab', es ſchreit ſo laut in mir, daß auch Ihr es hören müßt. Und das will ich nicht. Poldi: Um Gottes Willen, Mutter, reden S' nicht ſo! Mutter. Jetzt ſchweig' ich nimmer, ob Du's magſt oder nicht. Jetzt hör's zu End'. Du haſt nichts, er „„ hat nichts. Leg zweimal nichts zuſammen, wie Du willſt, es kommt ewig wieder nichts heraus. Poldi: Er iſt ein ſo tüchtiger Menſch! Und ſo ernſt und ſtrebend! Mütter Glaubt eine jede von Ihnen. Hab' ich vom Vater auch geglaubt. Poldi: Und iſt er's denn nicht? Mutter: Der?! Poldi: Mutterl! Mutter: Ja, biſt wirklich noch ſo jung in Deinen Jahren, daß Du noch ein Wort glaubſt, was er ſpricht? Wo's die Gretel nicht mehr thut? An einen von ſeinen Plänen? Poldi: Aber Auguſt iſt es! Die Wahrhaftigkeit ſelber! Und wir haben am Ende zu leben. Mutter: Ja! Du Deine paar Gulden und er die ſeinen. Das reicht. Aber wie lang? N eg Poldi: Und wir haben einander ſo ſehr lieb! Und ich will ja weiter, Mutter! Ich will es. Mutter: Ja, willſt Du? Als wenn eine Frau nur jo ſagen könnte, ich will! Wo ſie nicht weiß, ob's nicht mit dem erſten Kind gar iſt für immer mit dem Wollen. Und ſich lieb haben! Das hört ſich ſchön an. Aber das iſt, wenn's die Leute zuſammenbindet wie ein Strick. Und wenn ſie's dann beiſammenhalten ſoll, ſo iſt es wie ein Spinnweb .. . Es beläſtigt .. Pd Mutter! Um Gottes Barmherzigkeit willen! Mutter: Ich hab' Deinen Vater auch gern gehabt. Und wir haben beſſer angefangen, als Ihr jemals können werdet. Wo iſt alles? Geld und Neigung? Ausgeſaugt hat er mich durch die Jahre — ausgeſaugt wie eine Zecke, meine Jugend, meine Geſundheit, meine Freud' am Leben — fort iſt alles, alles iſt fort. Ich hab' nichts gehabt, ich hab' nichts, ich werd' nichts haben. Und jetzt wo ich Dich fallen ſeh' dorthin, wo ich verſunken bin, jetzt ſoll ich ſchweigen? Poldi: Mutter! Aber wir haben einander ſo lieb und wir achten einander ſo! Mutter: Es wär' ſchlimm, wenn's nicht jetzt ſo wär! Aber probier', wie lang das dauert! Probier's erſt! Achte Deinen Mann, wenn Du einmal ſiehſt, er kann Dir nicht einmal das Notwendigſte ſchaffen. Nimm nur, Du wirſt krank, und Du haſt weder erſt Deine Pflege, noch Deine Er- holung nachher, wie's ſein ſoll. Und alle kommen ihm voraus und bringen's weiter, wie er — achte ihn dann, wenn Du noch kannſt! N Poldi: Mutter, das iſt ſo ſchrecklich. Ich fürchte mich beinahe. Mutter: Wenn Du Dich nur fürchteſt, dann iſt nichts verſpielt. Und Dein biſſel Hübſchheit vergeht in lauter Kummer. Eine andere wird neidig. Und wieder eine andere wird ſchlecht. Du haſt das nicht in Dir. Du wirſt Dich härmen und fragen, warum hab' ich's gethan und warum muß ich und ich allein gehen, gehen und immer nur gehen, und es fahren die anderen. Und dann ſtehſt Du einmal da wie ich, ganz wie ich. e Poldi: Mutter! Mein Mutterl! Wie reden Sie? Mutter. Wie man mich's gelernt hat — dreißig Jahr' durch und jeden Tag, den Gott gegeben hat. Du, ſo eine Lektion weiß man nachher aus⸗ wendig. | Poldi: Und er? Mutter, was ſoll ich ihm ſagen? Mutter: Beſſer, er härmt ſich jetzt als ſpäter. Poldi, mein Herzerl! Er iſt nicht mehr ſo gar jung, er hat ſicher ſeine Mucken, er iſt nicht gewöhnt, ſich um andere zu ſorgen. Wird er's jetzt noch lernen? Und weißt du denn, wie er bleibt und wird? Gut ſein, wenn's einem gut geht, das iſt keine Kunſt. Wenn man nur zugreifen muß in die volle Lade! Man hat's ja! Aber ſonſt — da trifft's keiner, keiner, ſag' ich Dir. Poldi: Was ſoll ich nur thun, Mutter? Was thun? Mutter: Allein bleiben! Und hart bleiben! Damit Du nicht überall den Spiegel haſt, der Dir zeigt: Ich bin elend, Du biſt elend, wir ſind's alle! Daß Du Dich nicht ſorgen mußt: Haben Deine ee ga ! Kinder auch noch den Reſpekt vor Dir, den fie haben ſollen oder geht da nicht ſchon Eins herum, wie die Gretel herumgeht unter uns? Po bd is Die Gretel?! Allein ſein, Mutter! Allein bleiben! Mutter: Immer allein! Thut's weh, Poldi? Poldi: Weh, ſehr weh, Mutter! Mutter: Halt aus, mein Mädel, halt aus! Beſſer jetzt, als ein Leben lang. Poldi: Es wird ſchon geh'n. Wenn nur die nächſte Minute vorüber wär'! Jeſus, Maria, ſteht mir bei! (Es klopft.) Weißl: Und hier bin ich. War ich ſchnell? Hier, ich bitte Dich! Es iſt wenig, aber für den Anfang Mutter: Herr Doktor, meine Tochter iſt unwohl. Poldi: Mutter! Laſſen S' mich! Das muß ich ihm allein ſagen und grad' heraus. Herr Doktor, Ihre Blumen nehm’ ich und ich will fie aufheben mein Leben lang, aber heiraten kann ich Sie nicht. Sie kann ich nicht und einen andern mag ich nicht. Weißl: Fräulein, Sie belieben ſonderbar zu ſcherzen. PBI Recht haben S'! Und ſchimpfen S' nur auf mich! Und ſtellen Sie mich nur hin vor den Leuten, wie's eine nicht anders verdienen thut, die mit einem Manne ihr Spiel getrieben hat, den ſie niemals wert war, niemals. Weißl: Aber Fräulein, ein Wort des Grundes! Poldi (die Blumen vor'm Geſicht): Wie ſüß ſie nur riechen! Mutter, ich heb's auf mein Leben lang. Und ſchimpfen müſſen S' über mich, Doktor! Weißl: Das werd' ich nicht. Und ich komme wieder. So leicht laß ich Sie nicht! Poldi: So geben Sie mir die Hand! Behüt' Sie Gott tauſendmal. HN = 00 Weißl: Poldi, einen Grund?! Laſſen Sie mir die Hand. | Poldi (auſſchreiend): So martern S' mich nicht! Seien S' barm⸗ herzig! Gehen S'! (Weißt ab.) Mutterl halten S' mich, mir wird ſchwach. Stumme Pauſe. Alsdann Köſtlers Stimme: „Anrichten! Anrichten! Ich hab' einen Hunger!“ Köſtler ſelbſt, Hut ſchief auf dem Kopf, geräuſchvoll eintretend. Köſtler: Was giebt's denn ſchon wieder? Feſch ſein, ſag' ich, feſch ſein, Kinder, feſch ſein iſt Alles! (Der Vorhang fällt.) David, Neigung. 5 III. Aufzug. Dieſelbe Scene. Wenn der Vorhang aufgeht, iſt es ganz dunkel. Im Zimmer Poldi allein. Alsdann Lii. Die erſte Scene muß ſehr leiſe geſpielt werden. rar: Ich danke Ihnen, Fräulein. Der Felix ift zu Hauſe? PIT f Ja. Seit einer Weile. Ich werd' ihn gleich rufen. Sit. Ich danke Ihnen noch einmal. O, du lieber Gott, wenn man ſich nur nicht ſoviel ausſtehen müßt' auf der Welt! Poldi: Beruhigen Sie ſich doch, liebes Fräulein, beruhigen Sie ſich! ii Ja, das iſt leicht geſagt. Wiſſen S', Sie haben gut reden. Poldi: Das iſt wohl noch nicht ſo ausgemacht. Viel⸗ BEN leicht nicht um ein Haar beſſer als Sie. Glauben Sie mir, man weiß erſt ſo recht, was Mitleiden iſt, wenn man etwas Ahnliches durchgemacht hat. i Nein, Fräulein! So hart wird Sie der liebe Gott nicht geſtraft haben. Iſt an Einer grad genug. Dafür ſind Sie auch zu klug, Fräulein. Aber ich — immer hab' ich gehört, hübſch und klug vertragen ſich nicht miteinander. Ich hab' gelacht dazu, gelacht wie der Narr, der ich war. Jetzt glaub' ich's. Es giebt nichts Dümmeres auf der ganzen lieben Welt, als ein armes und hübſches Mädel. Pod i Fräulein! Gi Ja ſchau'n S' mich nur an! Es iſt jo! (Pauſe.) Poldi: Sie armer Kerl! Aber dann — er wird doch kein Lump ſein. (Geht zu Felix' Thür, klopft an.) Felix! Felix' Stimme. Was iſt? Poldi: Es muß Dich jemand ſprechen. N N BE Felix' (Stimme.) Du weißt, ich bin ein für allemal zu Hauſe für Niemanden zu ſprechen. Pei Aber es iſt ſehr dringend. Er muß noch heute mit Dir reden. | Felix' Stimme: Ich komme gleich. Aber daß es mir das letztemal iſt. Poldi: Ja, ja! (Entzündet die Lampe, die Thüre Felix' geht auf): Felix (eintretend): Nun? Ach, Fräulein Klein! (Zu Poldi.) Laß' uns allein! Ich bin wirklich neugierig, was das Fräulein von mir haben will. (Poldi ab.) Lili: Felix! Felix: Nun? Liſi: Felix! Geh, ſei nicht jo zu mir! Felix: Ich habe Dir ſtrengſtens unterſagt, von An⸗ beginn unſerer Beziehungen, mich jemals hier auf⸗ zuſuchen. Du weißt, ich verlange Gehorſam und Fügſamkeit. RR; Liſi: Fügſamkeit? Das ich zu wenig fügſam ge⸗ weſen wäre, kannſt Du wohl nicht behaupten. Eher zu viel. Und was ſoll ich machen? Ge⸗ ſchrieben hab' ich Dir und keine Antwort bekommen. Gewartet hab' ich, wo ich nur geglaubt hab', ich könnt' Dich treffen. Soviel ſind vorbeigegangen, ſoviel, und immer hab' ich geglaubt, jetzt iſt er's — und ewig warſt Du es nicht. Und man möcht' weinen und traut ſich's nicht. Und die ewige Angſt, der Vater merkt's. Jeſſas, Felix, der Vater! Felix: Ich fordere auch unbedingtes Vertrauen. Liſi: Na, mir ſcheint, das hab' ich Dir auch ge⸗ nug bewieſen. Eher zu viel. Feli; Und daß Du mir herkommſt und mir eine Scene machſt! . Like: Mach' ich Dir eine Scene? Ich möcht' mich nur ausſprechen mit Dir. Felix: Das hilft zu nichts. zn Lili: Ja, was denn fol helfen? Oder willſt mich ganz hilflos laſſen? | | Felix: Du biſt mir heute ſchon zu exaltiert. Ein andermal, wenn Du ruhiger geworden biſt. | Lili: Ich kann nicht warten. Und wenn ich ſchon exaltiert bin, wär's denn ein Wunder bei dem Zuſtand? 7 Felix: Bei dem Zuſtand? Liſi: Ja, ſchau mich nur an! Felix; Das iſt höchſt, ja wirklich höchſt unangenehm? Li Man könnt' nicht behaupten, daß Du Dich ſehr aufregen thuſt. Felix: Ich wüßt' auch nicht, wozu denn die Auf⸗ regung eigentlich gut ſein ſoll. Lit: Felix! Ich bitt' Dich, Du kannſt nicht jo ſchlecht ſein. e Felix: Ich mache Dich darauf aufmerkſam, daß ich Beleidigungen durchaus nicht vertrage. Site Du mußt's nicht jo genau nehmen! Ich ſag' Dir, der Vater erſchlagt mich. Fe bier; Das hat noch ein Jeder geſagt. Lili: Aber meiner thut's! e Gethan hat's leider noch Keiner. Zur; Felix! Pfui! Wie roh! bd; Du mußt es mit mir auch nicht ſo genau nehmen. Die Sache iſt doch wirklich höchſt un= angenehm für mich. N | Se: Unangenehm? Ich weiß nicht, was thun, ich ſteh' da in meiner Not — und er ſpricht von „unangenehm.“ Fe Ich bin nun einmal kein hitziger Menſch. Ich N. war's nie. Von der Sorte haben wir in der Familie genug. Life: Aber ein anſtändiger Menſch biſt Du doch? Felix: Ich denke ſchon. ie Dann thu', was ein jeder in Deiner Lage thäte. Feli Thät's ein jeder? Das ſcheint mir noch nicht ſo ausgemacht. er: Felix! e fir: Und überhaupt, 10 1 dazu verpflichtet? Ich habe Dir die Ehe mit keinem Wort ver⸗ ſprochen. e Nein, das haſt Du nicht. Felix: Wozu alſo das Drängen? Sit: Wozu? Und verſprochen haft Du mir's nicht? Nein. Gewiß nicht. Schriftlich ſchon gar nicht. n Feli: Na alſo. Wegen einer Übereilung ſoll ich meine ganze Zukunft wegwerfen? Ich ſehe nicht ein, wie ich dazu komme. Ich ſtehe eben im Be⸗ ginn meiner Carrière. Ich habe mir glänzende Verbindungen geſchaffen, ich kann reich heiraten. Ich kann dann etwas für meine Familie thun, die es ſehr braucht, und kann es ſelbſt zu etwas bringen. Wenn Du mich lieb haſt, wirſt Du mir nicht im Wege ſteh'n. | Pit: Und ich, Felix, und ich! Felix: Das wird ſich ſchon finden. Nur keine Über⸗ eilung. Ich bin ein anſtändiger Menſch, ich werde immer für Dich thun, was ich kann. Aber erſt muß ich mich ſelber rühren können. Liſi: Felix: Ich will mich ſchinden mein Leben lang, und ich will trocken Brot eſſen, nur damit es Dir an nichts abgehen thut, und will glücklich ſein dabei. Und ich will Dich halten, wie man einen Heiligen hält im Kapellerl, und es ſoll Dir nichts fehlen und ich will mich verſtecken vor den Leuten. RE EN Felix: Das ſind jo Phraſen . e Und ich will Dir nicht im Weg ſein, in keiner Weiſe. Und Du ſollſt den Himmel haben, ſo— weit Dir ihn Eins ſchaffen kann. Und alle Plag' ſoll für mich ſein. Nur laß' mich nicht im Stich. 8 Felix: Du ſollteſt mich doch ſchon beſſer kennen. Mit Bitten iſt bei mir nichts zu richten. Und wenn mir ſelber das Herz bricht dabei, mein Pfad iſt vorgezeichnet und mich bringt man nicht ab davon. Liſi: Felix, überleg' Dir's. | Felix: | Eine Unüberlegtheit büßen für immer? Es hat Jeder ſeins zu tragen. Liſi: Felix, überleg' Dir's. Aber gut! Feli; Es hat keinen Sinn. Es wird nicht anders dadurch. Ich mag auch nicht lügen. Liſi: So! Du magſt nicht lügen! Und Dein ganzes Getu um mich war feine Lüge? Du haft mir’s Heiraten nicht verſprochen. Ja. Aber wie ſoll das ein braves Mädel nehmen, wenn Du mit ihr ſprichſt, wie das einmal ſein wird, und ſo werden wir's haben und immer wir. Und wenn Du den Gerechten ſpielſt in Kleinigkeiten, nur damit Du den Lumpen machen kannſt im Ganzen Felix (drohend): Liſi! Liſi: Ich fürcht' mich nimmer. Nur daß ich mich weggeworfen hab', reut mich. Schaut Euch ihn an, den großen Herrn! Denk' an mich, Felix; Wirſt Grund haben. (aſch ab, Felix kopfſchüttelnd in ſein Zimmer.) Stimme Köſtlers: Na, was ſagſt, Alte? Stimme der Mutter: Wunderſchön iſt's. Stimme Köſtlers: Ja, gelt, ein Guſto! Verſtehen thu ich meine Sach! N | (Es treten ein Köſtler, Mutter, Grete, Poldi, ſpäter Felix.) Köſtler (die Hände reibend): Na, ich freu' mich auf heut Abend. Nach „ dem Nachtmal ein gutes Cigarrel. Ja, wenn man ſich das nur jeden Tag vergönnen dürft'! Poldi: Bleiben Sie heute Abend zu Hauſe, Vater? Köſt lep; Ich denk', ich denk'. Gewiß weiß ich's frei⸗ lich nicht. Es kann ſchon noch eine Störung kommen. Aber ich möcht's nicht. Um keinen Preis. Nicht wenn's Graz gilt. Ich hab' ſo einen Schlaf in mir. Mutter: Du haſt auch die letzten Nächte ſchlecht ge⸗ ſchlafen. Du müßteſt Dich mehr halten in Deinen Jahren. Köſtler: Wird ſchon noch kommen. Bis erſt die Laufereien einmal vorüber ſind. Bis man die Conceſſion hat. Sie ſind ſo viel langweilig dabei. Wahr iſt's, was die Zeitungen immer ſchreiben. Man will keinen Unternehmungsgeiſt bei uns. Grete: Was für eine Conceſſion? Köſtler: Nun, für unſere Fabrik. Grete (gedehnt): Gehn S'! . . . Was denn für eine Fabrik? Köſtler: Das werdet Ihr ſchon ſehen. Ich ſag's nicht. Aber es iſt ein famoſer und ganz origineller Grete: Zeit wär's, Vater. Es will ja niemals mehr klecken. Und nicht wahr? Ich darf Schlittſchuh⸗ laufen, wenn's was wird? Und Sie nehmen mich endlich einmal aus der Schul'? Und ich krieg' ein feſches Coſtüm fürs Eis? Köſt ler: Alles kriegſt, alles, Du zuerſt. Poldi, mein Kind! Und Du wünſchſt Dir nichts? Poldi: Nein, Vater, ich wünſch' mir nichts. Köſtler: Geh, mach' kein ſo tragiſches Geſicht. Schau, wenn ich die Gretel nur anſeh', ſo hab' ich meine Freud', ſo feſch iſt ſie und ſo luſtig und ſo voller Witz. Die wird ſchon ihren Weg machen. Um die braucht mir nicht bange zu ſein. Was braucht denn auch ein Mädel die Lernerei? Wenn's nur hübſch iſt und geſund, und für's andere wird ſich ſchon Rat finden. — Poldi: Es iſt eben nicht ein jedes, wie's andere. Ich bin halt ernſt. Köſtler: Aber ſonſt biſt doch vergnügt, fidel in Dir? Denn das iſt die Hauptſach'. Poldi: Ich bin's auch, Vater. Köſtler: VVV Grete (fingt): An ihr nagt der Kummer, der tiefe Kummer, die Herzenspein. Mutter: Poldi: K ö ſe err; Ah, laß' nur gut ſein! Das übertaucht man. Und wer weiß, wenn alles wird, wie's ſein ſoll, ſo wird's auch bei Dir noch ausgehen. Ich bin alt. Ich will nichts mehr vom Leben. Nur Euch möcht' ich noch glücklich ſehen und verſorgt. Alles für Euch. Für Euch hab' ich mich gerackert, und wenn das Glück einmal kommt, ſo möcht' ich dabei ſein, und wenn's Dukaten regnet, ſo will Gleichzeitig ö Grete! e ich nicht mit der hohlen Hand, ſondern mit der Mützen daſtehen und Meins haben und auffangen. Mutter: Wenn's nur Gulden wären! Köſtler: Was willſt? Iſt's nicht ſchon beſſer geworden? Sind nicht alle Rechnungen bezahlt. Mutter: Es iſt bei uns ſchon ein paarmal beſſer ge— worden, aber nie hat's gehalten. Und was immer hernach gekommen iſt. Ich mag nicht daran denken. Köſtler: Daß Du einem doch immer mit ſo etwas kommen mußt! Mutter: Sei nicht bös! Ich kann durchaus nicht daran vergeſſen, was ich ſchon durchgemacht habe. | Köſtler: Aber jetzt, jetzt, wo alles im beſten Gang iſt. Heute bin ich den ganzen Nachmittag herum: gefahren nach dem Amt. In Favoriten war ich, Lokalitäten ſuchen für die Fabrikation. Was man da alles für Leut' und für Elend ſieht! Nicht zum glauben. Das iſt auch nicht ſo einfach, das finden. Meinen Plan hab' ich mitgehabt, auf ee dem alles verzeichnet ſteht, wie ich's grad brauch' und gelaufen bin ich, wie ein Narr, ich weiß gar nicht, wieviel Stöck⸗ Grete: Und haben S' was Rechtes gefunden? Köſtler: So halb und halb. Und wie ich an der Schul' von der Poldi vorbeigefahren bin, hab' ich mir gedacht: Siehſt einmal nach, was das Mädel treiben thut! Aber ich hab's ſein laſſen. Poldi: Warum denn, Vater? Ich hätte mich gewiß mit Ihnen gefreut. Köſtler: So, hätteſt das? Na, es wird ſchon noch ſein. Und in einem feſchen Fiaker. Nicht ſo in einem lumpigen Einſpänner, wo man ſich eigent⸗ lich nur genieren thut. Alsdann bin ich in die Stadt und hab' mir überlegt, wo man ſich das Gewölb' aufmachen wird. Das iſt ſehr wichtig. Bei ſo einem Artikel iſt das Detailgeſchäft eigent⸗ lich eine Hauptſach'. Und weil ich in der Stadt war hab' ich halt die guten Sacherln gekauft, den Aufſchnitt für heut' abend — ich bitt' Euch, was man dahier beim Kaufmann kriegt, das iſt doch ein rechter Schmarrn! — und das Ganſerl, zu . damit man einmal einen guten Abend hat. Und richtig. Felix! Felix: Sie wünſchen, Vater? Köſtler: Du biſt alleweil der Noble. Da haſt, die hab' ich Dir in der Specialitätentrafik gekauft. (Reicht ihm eine Schachtel Cigarretten, Felix zündet ſich eine an.) Felix: J danke, Papa, ſie ſind gut. Köſtler: Dürfen's auch ſein für das, was ſie koſten. Und mir offerierſt keine?. .. So, ich danke. Daß ſo was ſo ein Sündgeld koſtet. Ich hätt' nicht das Herz dazu! Und Du, Alte, läßt eine richtige Pitſchen Bier kommen, daß man ſich einmal ordentlich vergnügt zuſammenſetzt. Kinder, das Chriſtkinderl geht um. Wer weiß, was se N uns Allen Gutes bringt! (Ab in ſein Zimmer, Felix en — — in ſeines.) Dienſtmädchen kommt, deckt den Tiſch. Grete: Mutter!! Laſſen S' mich den Aufſchnitt an⸗ richten. Ich kann's und ich thu's gern ſo, daß er recht guſtios wird. Ja? David, Neigung.! 6 BR Mutter: Meinetwegen. (Grete ab.) (Zum Dienſtmädchen:) Wir werden allein decken. Geben Sie acht in der Küche. (Dienſtmädchen ab.) Vor dem Mädel geniert ſie ſich doch ein bischen. Sonſt naſcht ſie Alles zuſammen, was gut iſt. Komm, wir wollen's hübſch machen. Es iſt ſelten genug, daß wir alle einen Abend zuſammen ſind. Poldi: Ja, es iſt ſelten genug. Mutter: Gieb mir den Aufſatz herunter. Mir thut's weh, wenn ich mich recken muß. Das ſind die mürben Knochen. Ich weiß nicht, wie mich das biſſerl Silber auf meinem Tiſch freut. Es hat ſo was feierliches an ſich, ſo was Blankes und Helles, ſo was von der Kirchen. Den hab' ich noch von meiner Mutter her. Du, da war Silber! Wir haben's ja gehabt. Na, bei uns hat ſich's nicht gehalten. Ich hab' ihn öfter nicht geſehen als, ja. Poldi: Wenn er ſich jetzt nur hält! Mutter: Wir müſſen's hoffen. Aber, wenn man ſich denkt, wie viele Hände haben daran ſchon herum⸗ öV'fIl gegriffen an dem Silber, ſo hat man freilich das rechte Vertrauen nicht mehr und nicht mehr die rechte Freud'. Poldi: Das rechte Vertrauen hat man nicht mehr. Nein. Und die rechte Freud' hat man nicht mehr. Mutter: Sollten wir nicht wieder einmal die Servietten hübſch legen? Du haſt das gar ſo lieb können. Poldi: Wenn ſie meinen, Mutter. Mutter: Probieren wir's halt wieder. Poldi (in der Arbeit): Wenn ich nur nicht ſo müd' wär'! Mir thun die Füß' immer weh. Sowie manchmal im Traum. Man muß wem nachlaufen, man weiß nicht wem, und lauft und wacht auf tod⸗ müd, und iſt doch nur in ſeinem Bett gelegen. Mutter: So, jetzt iſt's hübſch. Wenn man noch ein paar Blumen hätt Poldi: Nehmen S' meine. Gar friſch werden ſie freilich nimmer ſein. Aber es iſt noch nicht ſo lang her und ich hab' ſoviel darauf geweint. 6* RUN ME Mutter: Poldi, red’ nicht jo. Du zerreißt mir das Herz. Poldi: Nicht bös ſein, Mutterl! Das iſt ſo gekommen! Mutter: So wird's auch ſo vorübergehen. Poldi: Kann ſein. Und ſchweig' ich denn nicht genug? Mutter: Zuviel ſchweigſt Du, mein armes Mädel, zuviel! Und das frißt Dir das Herz ab. Poldi: Mit wem ſoll ich denn reden? Und was? Und es wär' ja noch zum Aushalten, wenn man einander nur aus den Augen gekommen wär' für immer. Aber ſo. Mutter: Poldi, mein liebes, liebes! Reg Dich nicht ſo auf. Poldi: Ich thu's ja gar nicht. Aber wenn ich in meine Schule komm', ſo iſt er da. Und wenn ich meine Stunde geb, ſo hat er vielleicht grad die in derſelben Klaſſ' hinter ſich, und ich ſpür's ordentlich, daß er in dem Zimmer geweſen iſt. , Und wenn ich heimgeh', ſo hat er früher auf mich gewartet und wir ſind zuſammengegangen, haben geplauſcht, und ich hab's ſo geſpürt im Gehen, wie wir ineinandergewachſen ſind immer mehr und mehr und innerlich. Und damit iſt's nun aus und für immer; und ich ſchlepp' mich ſo, ein' Tag, noch ein' Tag und alle, alle Tag. Hutten; Poldi, Du biſt zu weich. Härter werden. Poldi: Zu weich? Wo ich's aushalt'? Und alles thu, was ich thun ſoll? Und dann iſt er ſo traurig und ſo ſtill. Wär' er grob geworden mit mir, hätt' mich zuſammengepackt vor die Leut', jo wär' Alles gut. Aber fo... Und ich weiß ja, Mutterl, Sie haben Recht gehabt, tauſendmal Recht gehabt, und es war das Beſte für mich und gar für ihn. Aber ich war glücklicher, wo ich blind war und blind wohin gegangen wär', vielleicht in mein ſchlimmſtes Elend. Und ich bin hier nicht zu Haus mehr, wo ich jetzt ſeh', wie der Vater iſt, und mich verſtellen muß, und bin nirgends auf der Welt mehr zu Hauſe. Mutter: Das wird ſich ſchon legen. Poldi, beiß' die Zahnderln zuſammen! BL EURE Poldi: Ja, das haben Sie mir immer geſagt, wie ich noch klein war. Und dann hab' ich gefolgt. Aber ich hab' niemals gewußt, was ein rechtes Glück iſt. Nur den einen Sonntag. Na, ſo gar lang hat's nicht gedauert. Eine Viertelſtund', und dann war's aus damit. Das iſt nicht gar viel für ein Leben. Mute v Poldi, beiß' die Zahnderln zuſammen! Poldi: Ja, und ich hab's auch immer gethan. Aber ich bin gewiß nicht ausrichteriſch, gewiß nicht. Aber es haben's Andere um ſoviel beſſer wie ich. Wenn ich nur etwas leichtſinniger wär'! Und dann, mir iſt jetzt immer ſo, es geht etwas hinter mir, etwas, was ich nicht nennen kann, aber es ſieht mir über die Schulter. Und dreh' ich mich um, ſo iſt's weg, und ich weiß nur, es war was Schreckliches. Mutter: Jeſus, Maria und Joſef! Dir auch? Poldi: Mir auch. Und ich muß überhaupt Alles glauben können oder ich glaub gar nichts. Und , ſo geht's mir jetzt. Und der Vater iſt anders, ganz anders gegen früher. Mu beter; Poldi, Du ſiehſt's auch ... Poldi: Ja. Und er zwingt ſich nur. Und wenn er lacht, ſo iſt es nicht mehr wie einmal, daß man mitlachen muß. Und ich ſeh' manchmal in ſein Zimmer, wenn ich meine Hefte ausbeſſer', und ſo ſitzt er da und hat den Kopf in der Hand, als ſtünd' das Grausliche, vor dem ich ſo erſchreck' hinter ſeiner. Und er ſpricht mit ſich auf der Gaſe Mutter: Er ſpricht mit ſich auf der Gaſſe? Poldi! Poldi: Ja, er iſt an mir vorübergegangen und hat mich nicht einmal erkannt. So hat er diskuriert mit ſich. Und Dir hat er geſagt, er war ganz wo anders, als wo ich ihn geſehen hab! Mutter! Da iſt's. Da iſt's. Gar iſt's. (Bricht zuſammen.) Poldi: Mutterl! Wir wollen ſchon zuſammenhalten, wir Zwei, und wollen uns zwingen. Käm's nur, KUHN ST. ae daß man Anderes vergeſſen müßt, weil man feine Seit hat zum Denken. — Mutter: Beſchrei's nicht, Poldil. Es kommt.“ (hause) Grete (ſteckt den Kopf zur Thür herein): Angerichtet it! Seid's fertig? (Klatſcht in die Hände.) Es kommen Felix und Köſtler. Die beiden Frauen nicken einander zu. Köſtler: Was habt's einander immer zu deuteln? Poldi: Nichts Vater! Köſtler: Überhaupt, einmal könntet Ihr Euch doch zu⸗ ſammennehmen. Das ſind Geſichter! Der ganze Humor vergeht Einem dabei. Poldi: Iſt's ſo ſchlimm? Mein Geſicht? Köſtler: Wie's Gott gemacht hat, wär's ſchon ganz recht. Nur das Du machſt. Poldi: Nicht bös ſein! Es wird ſchon wieder beſſer. Das Nachtmahl ſteht auf dem Tiſch. Man ſetzt ſich. n Köſtler: Geb's Gott! Ihr habt aber heute hübſch angerichtet. Wer hat denn arrangiert? Grete: Natürlich ich. Köſtler: Geſchmack haſt Du. Na, das iſt köſtleriſch. (Drohend:) Grete! We Ich nehm' ja ſo nur, was kein anderer mag. Köſtler: Alles Gute nimmſt Dir heraus. Grete: Ich denk' nur, weil in allem die anderen das nicht mögen, was ich gern will, ſo iſt's beim Eſſen auch ſo. Köſtler (lacht): Einfälle haſt! Kinder, wenn man's nur jeden Abend ſo haben könnt. Ich bin kein unbegnüg⸗ ſamer Menſch nicht. Ich wünſch' mir keinen Luxus. Nur mein bürgerliches Auskommen möcht' ich haben und etwas zurücklegen können für meine alten Tag! Aber ſo gut wird's einem ehrlichen Menſchen nicht Mutter: Magſt nicht vom Schinken? Er iſt delikat. EN Köſtler: Gieb ihn der Poldi. Ich eſſ' Schinken ſehr gern, für mein Leben gern eſſ' ich ihn, aber ſie braucht ihn nötiger, daß fie wieder ein biſſerl Farbe kriegt, das arme Mädel. Die möcht' auch ausſchau'n anders wie jetzt, wenn's ſo käm, wie's ſollt! Daß es jo wird! (Sie ſtoßen an.) Mutter: Es iſt ja jetzt Ausſicht dazu. Köſtler: N Ja, wieſo? Ja, gewiß? Ich bin ſo zerſtreut, ich hab' ſoviel im Kopf. Ja, und ich war immer ſo. Immer ich auf die Letzt' und jeder andere kommt mit ſeinen Sachen vor mir. Immer ich zuletzt. Mutter: Magſt nichts mehr? Keins mehr? Du ißt ja gar nichts. Köſtler: Ich ſpar' mir meinen Hunger aufs Ganſerl. Das iſt ein liebes Vogerl. Ich hab's immer für mein Leben gern gegeſſen. Und ich bin ſelten genug dazu gekommen die Jahr' her. Iſt's, wie's ein ſollt', reſch und braun? Mutter: Wirſt's gleich ſeh'n. (Klatſcht in die Hände.) REN. Köſtler (verfärbt ſich) 5 Was ſoll das? Mutter: Geh, Du thuſt ja, wie wenn Du kein gutes Gewiſſen hätteſt. Marie ſoll abtragen. Köſtler: Mein Gewiſſen laß in Ruh. Iſt gut genug. (Pauſe, während Marie abträgt und wieder aufträgt.) — Grete: Da iſt ein Engerl durchs Zimmer geflogen. Koller: Ja ein Engerl. Kinder, giebts denn gar nichts neues auf der Welt? (Zu Poldi.) Poldi! Bei Dir in der Schul'? Poldi: Nichts Luſtiges. Dem Schuldiener haben S' weggejagt und nur, weil er ſo viel gebeten hat, haben fie ihn nicht einſperren laſſen. Köſtler: Warum denn? Gleich einſperren haben fie ihn laſſen wollen? Poldi: Es iſt ein ſo armer Teufel. Und mit ſeinem Gehalt hat er ewig nicht auskommen können. Und Trinkgelder giebt's bei uns draußen ſoviel ie wie gar keine. Und ſeine Frau trinkt. Da hat er Holz und Kohlen genommen und hat ſie ver⸗ kauft und von den Büchern hat auch viel gefehlt, darauf ſind ſie ihm gekommen Köſtler⸗ F Poldi; Nun, weggejagt haben ſie ihn. Und weil es gerade nach dem Erſten war, wo wir alle noch ein biſſerl ein Geld haben, ſo haben wir ge— ſammelt unter einander und haben ihm die paar Gulden gegeben, damit er ſich doch für den An- fang ein Zimmer mieten kann und nicht gleich auf der Straße ſteht. Wee Habt Ihr's? Das war brav. Ich ſag's immer, die Lehrer haben das Herz doch, wo's hingehört. Mutter: Warum nimmſt Dich ſo an um den Dieben? Dienſt mädchen (meldet): Der Herr Klaus wartet unten. Köſtler: Ich hab' keine Zeit. Zum Teufel ſoll er geh'n, der Herr Klaus. (ienſtmädchen ab.) I Mutter: Du biſt aber heut' nervös. Köſtler: Wenn man Ein' immer aus ſeiner hänslichen Stimmung bringt! . .. (ündet ſich eine Zigarre an, geht rauchend auf und ab.) Mutter: Für Deinen Hunger ißt Du aber wenig. Köſtler: Der Appetit iſt mir vergangen. Bei der grauslichen Geſchichte von der Poldi. Wenn man ſich ſo recht ausdenkt, mit Weib und ſo viel Kindern ſteht er auf der Straße mit die paar Gulden Poldi: Er hat ja gar keine Kinder. Köſtler: Am End' iſt das auch noch ſeine Schuld. Feli Dafür hat Ihr Bureauchef deſto mehr Kinder. Köſtler: Welcher Bureauchef. Felix: Nun, der Hauptkaſſierer, den ſie heute Nach⸗ mittag eingeſperrt haben. Köſtler: Den Hauptkaſſierer haben S' eingeſperrt? Heut' Nachmittag? Felix: Ja, wiſſen Sie 's denn nicht, wo im Amt von nichts Anderem die Rede war? Köſtler: Ich hör' nicht darauf, was die Leut' reden; ich hab' keine Zeit dafür. Felix: Aber das iſt mir doch unbegreiflich. Köſtler: Wirſt's gleich begreifen. Ich war nicht im Amt. (Starker Riß an der Klingel. Schrickt zuſammen.) Was iſt ſchon wieder? Mutter (fieht hinaus): Nichts. Die Nachbarin hat nur um den Schlüſſel zur Waſſerleitung gebeten. Köſtler: N Grad' die richtige Zeit. Erzähl' weiter Felix! Felix: Nun, es ſoll viel Geld in ſeiner Kaſſa fehlen. Man ſpricht von mindeſtens 100 000 fl. Köſtler: 100000 fl.! Wo der Mann doch Jo ein ſchönes Gehalt gehabt hat. „„ Felix: Es war nicht ſo gefährlich. Und ſo eine Menge Kinder hat er auch gehabt. Da kann man mit 3600 fl. jährlich Alles in Allem aufs höchſte — nicht jo weit ſpringen. er Grete: O ja! Wo hat er denn gewohnt? sehr Was geht's dich an? In Währing. 00 Grete: Na alſo, von Währing bis ins Landesgericht! Köſtler (Hebt die Hand): Grete, das iſt eine Roheit. Dafür verdienteſt Du was. — Die Leut' ſind auch gar zu ſchlecht gezahlt. Ich geh' in Penſion, ſowie ich mein Geſchäft anfang! Felix: Hat Dein Hintermann eine Freud! Der Staat zahlt nicht mehr als er will. Er wird immer Leute genug finden. Er bietet ihnen doch einen großen Gegenwert in ihrer ſozialen Poſition, in der Möglichkeit, reich zu heiraten auf dieſe Poſition hin. Wer das unterläßt, wer dieſe Chance, die er dem Staate allein dankt, nicht ausnutzt, hat ſich eben die Folgen ſelber zu— zuſchreiben. Ba Köſtler: Was Du aber für ein geſcheiter Menſch biſt! Nein, das iſt wirklich mein einziger Sohn. Alſo, den kaiſerlichen Rat haben Sie eingeſperrt. Ich ſeh' ihn noch vor meiner. Ein kleiner, alter Herr, immer freundlich, mit ſeinen grauen Haaren und dem ſchneeweißen Bart. Ein Herz hat er gehabt für die kleinen Leut' und hat ſich um ſie angenommen, wie es ſich um eine Zulag' gehandelt hat oder um ein' Urlaub. Nur immer ſtill und gedrückt war er. Felix: Die Malverſationen datieren um Jahre zurück, ſo daß er ſich vor jedem Untergebenen fürchten mußte in ſeinem belaſteten Gewiſſen. Köſtler: Was die heute Alles mit dem Gewiſſen haben! . .. Hat nicht wer ans Fenſter geklopft? Mutter (aufſpringend): Was redeſt Du? Wie iſt das möglich? Köſtler: Mir iſt's ſo vorgekommen. Mutter: Du ſiehſt heut' Geſpenſter. Köſtler: Red' nicht von ſolchen Sachen. Wenn man aufgeregt genug iſt. Grad heut' haben S' ihn eingeſperrt. Ich hätte ihm gern Adieu geſagt. (Starker Riß an der Klingel. Er ſpringt in ſein Zimmer, reißt die Thür hinter ſich zu) Ich mag Niemand ſehen. Mutter (fieht zur Thüre hinaus): Ein pneumatiſches Kartel für den Felix. Felix (unterſchreibt): Ich gehe heut noch aus. Man giebt mir Rendezvous in der Tarockpartie. Köſtler (in der Thür): Ich bin ſo ſchreckhaft heut. Mein Leben war ich noch nicht ſo. (Klirren in der Küche.) Mutter: Da hat die Marie wieder was ganz gemacht. Köſtler (itotternd): Hat die Marie wieder was ganz gemacht?! Hörſt? ... Ein Wagen fährt durch die Straße. Feliz: Ja, und damit ich zu Ende erzähl', es war natürlich heute große Scontrierung ſämtlicher Kaſſen. Köſtler: Große Scontrierung ſämtlicher Kaſſen? Jetzt müſſen S' fertig geworden fein damit. David, Neigung. 7 e Mutter: Was regſt Dich ſo auf dabei, Mann? Köſtler: Unten vorm Haus hält der Wagen. (ſtürzt zum Fenſter, beugt ſich hinaus. Man ſieht die Dächer, über denen der Mond liegt, die Lampe flackert im Zug.) Mutter: Iſt denn ein Wagen ſo was Rares in den Gaſſen. Du kannſt ja nicht einmal ſehen bis zum Thor. | Köſtler: Stad ſein! Red nix! Ein Mann ſteht im Thor! | Mutter: Mann, red’ Dir doch nichts ein. Man fieht ja nicht hinunter. Köſtler: | Stad fein! Red nix! Im Thor ſteht er, zwei ſind hinein. Muster: | Kinder! Um Gotteswillen! Er iſt närriſch geworden! Mann, Du phantaſierſt ja. Beruhig' Dich. Um den Arzt lauft, um den Arzt! Köſtler: Stad ſein! Nicht noch wen holen! Wir ſind eh' genug! Bald werden's zuviel ſein. „ Mutter: Felix! Halt ihn! Köſtler: Stad ſein! Nicht mich anrühr'n, ſag' ich. Nicht anrühr'n! Die Stiegen ſteigen's. Ich hör's. Der Eine iſt dick und ſchnauft ſo im Steigen. Im erſten Stock ſind's ſchon. .. Mutter: Kinder, ſo thut's doch was! Köſtler: Stad ſein! Daß man Niemand hört. Iii mich kommen s'. Einſperren wolln “ mich. a Auſſchrei Aller: Vater!! . Kofler: Um den Dieben kommen ſ'. Aber ich laß mich nicht einſperren. Ehrlich war ich, mein Leben lang ehrlich, und ich hab' Alles zurück⸗ geben wollen, was ich aus der Kaſſa genommen hab. Und ich hätt's, wenn ich nur heut dort g'weſen wär'. — Iſt eh' wenig. Die paar Gulden! Daß man ſich forthilft aus dem Schlimmſten. Mutter: Mutter Gottes, ſchmerzensreiche! Steh mir bei! Koller: Bet’! Bet’! Beten darfit! Wir . 3 nötig! — 100 — Aber ich laß mich nicht einſperren wie der Rat. Ich überleb' die Schand nicht. Und es müſſen mit mir viel mit. Alle müſſen mit, die was geſagt haben: „Ein Mann mit Deinen Ideen! Und plagt ſich ſo um die paar Gulden Lohn! Heißt denn das überhaupt ein Gehalt? Mach' eine von Deinen Ideen und Du biſt ein reicher Mann, und ein Liter Wein kannſt jetzt ſchon darauf zahlen, Köſtler!“ Poldi: Vater, beruhigen Sie ſich doch! Köſtler (horchend): So tummeln ſie ſich. Sie ſind ſchon im dritten Stock. Aber erſt müſſen ſ' um die Anderen geh'n, um den Klaus und die Andren Alle. Noch ſechs⸗ unddreißig Staffeln ſind's. Dann werden ſ' an⸗ klopfen. Und der alte Köſtler, der Ehrenmann durch ein Leben, iſt ein Dieb mit mildernde Um⸗ ſtänd'. Mutter: Vater! Vater! Nimm's auf Dich. Köſtler: Und ſolang' lügt man zum Spaß und um die Leut' zu tröſten und zu vertröſten. Und dann glaubt man am End' ſelber ſein Lügen. Und wie kann das ſein, daß man ſeinen eigenen — 101 — Lügen glaubt? Und man hofft immer auf den Geldgeber, der Einem helfen ſoll, wie auf den lieben Gott, und man hat ihn niemals mit keinem Aug' geſehen, wie den lieben Gott auch nicht. Und dann ſteht man ſo da vor ſeine Kinder und vor ſich ſelber — ſo ſteht man da! Mutter: Jeſus, Maria, Joſef! Köſtler: Und ich laß mich nicht einſperren, ich laß nicht. (Die Thürklingel ertönt.) Da ſind's! Da ſind's! Da find’ 8 (Stürzt ab. Man hört das Fenster fer nicht das offene.) F Grete: Jeſus, der Vater! Jeſus, der Vater! (ihm nach, lehnt ſich ins Fenſter und zetert wie ein Kind. Die Anderen durch die Eingangsthüre ab, die Lampe flackert, erliſcht. Von der Straße her Gemurmel und Schreien, wie immer in ſolchen Fällen. Ganz fern, dann näher das Signalpfeifchen der Rettungs⸗ geſellſchaft.) (Der Vorhang fällt.) IV. Aufzug. Die drei Frauen in Trauer. Aus dem Zimmer iſt ſchon viel verſchwunden. Felix zum Weggehen angezogen, aus ſeinem Zimmer. Felix: Wir ſind einig. Und nun leben Sie wohl, Mama! Mutter: Behüt' Dich Gott, Felix, und laß Dir's gut gehen! ir Seler. Behüt' Euch Gott, Schweitern! Man wird ſich ja wohl manchmal ſehen. Mutter: Man wird ſich ja wohl manchmal ſehen. (Felix im Abgehen.) Feli!!! Felix: Wünſchen Sie noch etwas, Mama! Mutter: Nein ich aber Kön; nicht noch einige Tage dableiben bei uns? „„ Felix: Nein, das hätte doch keinen Sinn. | Mutter: Es iſt nur gar jo ängſtlich. Wir drei Frauen allein in der Wohnung, wo man immer ſo eine Angſt hat, wenn man auf die Thür hinblickt, die Thür . . . . Bis man ſich ein bischen gewöhnt hätte oder ausgezogen wär! ..... Felix: Aber Mama, Sie waren doch immer eine vernünftige Frau. Murter; sa Sa ee wich Dich manchmal um⸗ ſchaun um uns Einſame, Felix. Felix: 20 Wenn ich Zeit habe, und ſo oft es geht. ——— 177777 Ja. Und damit er ja recht nahe hat, fo iſt er ſo weit von uns weggezogen, als es nur möglich war. Felix (sehr höflich): Ganz beſtimmt. Damit 1 mich die Sehnſucht nach) Dir nicht jo oft In Verſuchung führ. Grete: Geh, geh. Du biſt ein Komödiant Dein Leben lang geweſen. — 104 — Felix: Jeder beurteilt den andern nach ſich, meine füße Schweſter! Grete: Ob's einen auf der Welt giebt, der das beſſer kann?! Er iſt einfach großartig. 5 Mutter: Kinder! In der Scheideſtunde müßt Ihr nicht wieder anfangen. Trag' ihr nichts nach, Felix! Sselir: Gewiß nicht, Mama! Aber Sie werden be- greifen, daß ich nach ähnlichen Begegnungen nicht oft Verlangen trage. Ich habe nun einmal das Bedürfnis nach einer gewiſſen Höflichkeit der Umgangsformen, nach einer Abgemeſſenheit im Verkehr, habe es auch meinem Nächſten gegenüber. Ich glaube, ich wäre unglücklich in einer Ehe, in der ſich meine Frau gehen ließe. AUnerzogene Naturen ſind mir ein Greuel. d | Grete (Mit): Das Greuel bedankt ſich. Felix: Keine Urſache. Es geht nicht auf Dich allein. Daran hat es bei uns nie gefehlt. — 105 —ͤ— Poldi: Du biſt gegen einen Toten ſtreng. Biſt Du's gegen Dich nur auch ſo, Felix! Feli Keine Belehrung, wenn ich bitten darf. Ich bin mir eben noch klug genug. Poldi: Es ſollte keine Belehrung ſein, vielleicht nur eine Mahnung, lieber Felix. Felix: Eine ſehr feine und ſcharfſinnige Unter⸗ ſcheidung. Aber ich verlange weder nach Mah— nungen, noch nach Belehrungen. Ich begreife es vollkommen, daß man mich hier falſch beurteilt. Hier hat niemals jemand gewußt, was er will. Eben darum bin ich gewitzigt. Ich weiß es und werde es erreichen. Mutter: Aber deshalb brauchteſt Du Dich nicht ſo ganz von uns loszuſagen. Ich brauche ſo eine Stütze. Felix; Geſtatten Sie mir gleichfalls eine feine Diſtinktion. Sich trennen und ſich losſagen ſind gleichfalls zwei verſchiedene Begriffe. Ich kann Ihnen allen auswärts viel eher nützlich ſein als hier. — 106 — Mutter: Ach Gott, ja, ja, du haſt wohl Recht. Felix: Ich laſſe Sie ja nicht im Stiche. Ich habe meine Berechnung aufs genaueſte gemacht, wie⸗ viel ich von meinem Gehalte entbehren kann, ohne meine Zukunft durch Bettelhaftigkeit zu be⸗ drohen. Das geb' ich Ihnen und gerne. Sie können damit und mit dem, was die Poldi ver⸗ dient, anſtändig exiſtieren. Und eigentlich habe ich doch unter der leidigen Affaire am meiſten gelitten. Mutter: Du, Felix? Du? Das geht mir nicht ein. Selig: So werde ich's Ihnen erklären. Vordem war ich ſchlechtweg Felix v. Köſtler. Das „von“ iſt ſogar eine, wenn auch nicht gar große Empfehlung. Nun — ich muß es Ihnen ſagen, ſo peinlich es mir iſt, Mama — bin ich der Sohn von dem gewiſſen Köſtler, von dem „eh, Sie wiſſen ja, eh, der gewiſſe Köſtler“ — — Das iſt eben keine freundliche Erinnerung. Sie müſſen es mir alſo nicht verargen, wenn ich zwiſchen meiner Wohnung und der Ihrigen etwas Gras wachſen laſſe. Es iſt genug, wenn ich nicht um Namens⸗ — 107 — änderung eingefommen bin, weil ich die Hoffnung hege, man wird mich 's nicht entgelten laſſen — nicht im Amt, nicht in jenem Hauſe, in dem ich immer noch mit freundlichen Erwartungen ver⸗ kehre. Ich habe eben jetzt daraus ſchöne und verheißende Beweiſe von Teilnahme ſeitens der Mutter wie der Tochter erhalten. Gelingt mir's dort — ich verſpreche nicht gerne — aber es ſoll Euch allen dann nicht zum Schaden ſein. | Mutter Felix, Du biſt klüger wie dein Vater. Aber beſſer war er, beſſer. Felix: So wären wir denn richtig in der Aus⸗ einanderſetzung, die ich ſo gerne vermieden hätte. Es iſt wahr, ich ſchüttle ab, was mir unbequem wird, wenn man mich auch ſcheel anſieht darum. Alſo, das hat er nicht gekonnt, er war beſſer. Und was haben wir von ſeiner Güte gehabt. Ein Leben voller Sorgen, einen befleckten Namen. Und er ſelber? Wär' ihm nicht beſſer geweſen, wenn er anders war. Die Meinen werden es beſſer haben, als Ihr's gehabt habt und darauf kommt's an und nicht auf die Güte. Poldi (träumeriſch): Die Güte aber iſt Alles. — 108 — eie | Gewiß, in jeder Sammlung von Gitten- ſprüchen. Im Leben aber iſt ſie gar nichts und hat da auch gar nichts zu ſuchen. Adieu, Mutter! Adieu Schweſtern! (Ab.) Poldi: Die Güte aber iſt Alles; ich glaub's immer noch, die rechte Güte. i Mutter: Glaubſt Du noch daran? Ich nicht mehr. Poldi: N Ja, die ſtarke Güte. Ich weiß Einen, der trägt ſie in ſich. (Pauſe. Grete hat ſich angezogen.) Mutter: Wohin gehſt denn ſchon wieder, Gretel? Grete: Mich umſchau'n. Mutter: Ja, um was denn? — — .. Nun, um eine Stellung. Ich hab' ſchon was in Ausſicht. Pr Mutter: Ja, um Gotteswillen, Du haſt mir r doch davon kein Wort geſagt. 0 | — 109 — Grete: Angefangen hab' ich ſchon oft, aber Du haſt ja nie ein Ohr gehabt für mich. Mutter: Ja, aber als was denn? Und jetzt? Grete: Sein S' geſcheit, Mutterl! Sie wiſſen, ich mag nicht lernen, ich taug' nicht dazu. Und die Verhältniſſe ſind doch jetzt gewiß nicht darnach, daß man noch viel auf mich wenden könnte. Ich muß auch dazu ſchau'n, daß ich was verdien', daß ich Niemandem zur Laſt fall'. Mutter: Und wie willſt Du das, wo Du gar nichts kannſt? Grete: Es iſt nicht ſo ſchlimm. Fürs Geſchäft kann ich genug. Mutter: Fürs Geſchäft? Für was 3 ein e Grete: Für die Konfektion. Ich ſprech' ganz gut franzöſiſch. Die Figur hab' ich darnach. Ich geh' probieren. Heut' ſtell' ich mich vor. Wenn ich dem Chef gefall' — und es möcht' mich — 110 — wundern, wenn ich ihm nicht gefallen möcht' — ſo tret' ich morgen ein. So kann ich mein Glück machen. Und auch wenn man mit mir nur zu⸗ frieden iſt, ſo komm' ich viel weiter, wie mit der Schulmeiſterei. (Ab.) Mutter: Gretl! Sie hört gar nicht auf Einen. Das Mädel macht mir Sorgen genug. Poldi: | Es iſt am Ende doch kein Wunder, wenn 15 außer Rand und Band iſt, Mutter. Sie wird ſich ſchon wieder zurecht finden. Mutter: Kann ſchon ſein. Kann ſchon ſein. Es frägt ſich nur, wann und wie. Poldi: Zu ihrer Zeit. Gewiß, Mutterl. Erſt muß man ſich doch beſinnen. (Es klepft.) Herein. Hans Klaus: Es war mir noch nicht vergönnt, verehrteſte Stan ..: Mutter: Der Herr Klaus? Wie können Sie... Klaus: Es war mir noch nicht vergönnt, verehrteſte „ > Frau, angeſichts des furchtbaren Schickſals⸗ ſchlages ... Mutter: Ich frage Sie noch einmal, wie können Sie ng Allem Klaus:“ Der Sie und Ihre ſehr geſchätzte Familie betroffen hat, perſönlich und mündlich und herz— ei... a Mutter: Ihr Beileid auszuſprechen. Klaus (verwirrt): Unſer Beileid auszuſprechen und... Mutter: Herr Klaus, den Reſt der Rede ſchenk' ich Ihnen. Klaus: Alsdann. Nachdem ich annehmen muß, daß auch Sie durchdrungen von gleichen Ge— hen Mußte Gewiß. Und Ihre Rede haben Sie famos auswendig gelernt. Wollen Sie den Herren mit⸗ teilen, daß ich ihre Gefühle vollkommen und mit ganz der gleichen Herzlichkeit erwidere. — 112 — | Klaus: I Und mit diefer Überzeugung empfehle ich mich mit einem gehorſamſten Handkuß und einem freundlichen Andenken. Mutter: Herr Klaus, das mit dem freundlichen An⸗ denken hätten Sie ſich überlegen müſſen. Klaus: Wie meinen Sie das, Frau v. Köſtler? Mutter (in ſteigender Erregung): Und Sie hätten das Wort nicht in den Mund genommen, die Zunge hätten Sie ſich abgebiſſen zuvor, wenn Sie gehört hätten, wie er in ſeiner letzten Stunde von Ihnen, von Euch allen ge⸗ pochen hae Klaus: Ich bitte Sie, gnädige Frau, wo er doch nicht mehr bei ſich war. Mutter: Er war nicht bei ſich. Aber wer hat ihn dahin gebracht, daß er nicht bei ſich war? Ihr alle, Ihr, die Freunderln, die Ihr Männer ſein wollt und Euch aufführen thut, daß es bei Kindern ein Skandal und eine Sünd' wär'. Klaus: Gnädige Frau, Sie geſtatten, daß ich das Ihrer Erregung zugute halte und mich empfehle. Mutter: O na, jetzt werd'n S' ſchon dableiben. Eher geh'n Sie nicht, bevor wir zwei nicht ausgeredet haben. Hat einer von Euch meinem Mann eine ſeiner Erfindungen geglaubt? Hat ihm einer die Wahrheit geſagt, wie er's hätte müſſen? Wer mir's ſagt, wo's ſein muß, der is mein Freund — wer's anders hält, der iſt ein Freunderl! Klaus. Gnädige Frau, wir haben dem Herrn v. Köſtler eben ſeinen Spaß gelaſſen. Mutter. Gelaſſen habt Ihr ihm den Spaß? O nein, gehabt habt Ihr ihn damit. Ihr habt ihn ver⸗ kauft und verraten, tauſendmal ſchlimmer wie Judaſſe. Klaus: Der Schmerz macht Sie ungerecht. Das ſind Übertreibungen. Mutter: Übertreibungen? Was nicht noch? Um ein Liter Wein oder noch ſchlimmer, nur um die Hetz' habt Ihr ihn hineingeritten in ſein End'. Den Buckel habt Ihr Euch voll gelacht, kaum daß er draußen war vor der Thür und habt ge⸗ wiſpert über den armen Narren. Und alsdann David, Neigung. 8 — 114 — hat's geheißen: „Du biſt ein großartiger Kerl, Köſtler!“ und „Auf die Weif’ wirft reich, Köſtler!“ und „Ein Liter vom Guten mußt zahlen auf die Idee, damit ſie wachſen kann und was wird daraus, Köſtler!“ Ich ſeh' Euch vor meiner, wie wenn ich dabei geweſen wär' und nicht zu Haus geſeſſen mit meinem ſchweren Herzen. Klaus: Gnädige Frau, Sie ſehen das viel tragiſcher, als es einer meint. Mutter: Meinen thut's keiner ſchlimm. Das iſt ja das Niederträchtigſte. Ihr habt einander ganz lieb dabei. Aber einen Wurſtel, wenn Ihr aus einem machen könnt, dann ſeids glücklich. Daß der Wurſtel auch Weib und Kinder hat, das ſehts nicht, Ihr Freunderln! Und jetzt gehn © mir aus die Augen! Ich hab' ja nicht einmal einen Wein im Haus. (Klaus ab.) Ach, Poldi, das hat gut gethan. Es hat 'raus müſſen. Ich wär' erſtickt daran, wenn ich's länger in mir ge⸗ halten hätt'. Das kocht in mir, ſeit ich die bei der Leich' geſehen hab... Poldi: Regen Sie ſich nicht ſo auf, Mutterl! Er verdient's nicht. — 115 — Mütter: Ich bin jetzt fertig. Jetzt iſt mir gut und iſt mir leichter. (Bricht ins Weinen aus.) Poldi: Mutterl, liebes Mutterl! Sie werden mir ja noch ganz krank. Mutter: Vielleicht wär's das beſte für Dich, ich möcht's auch ſo machen, wie dein armer Vater gethan. Poldi: Geh'n S', Mutterl, das iſt ſo momentan. Das wär' nicht ſchlimm, wenn Sie mich jetzt im Stich laſſen wollten, jetzt, wo ich mich ſchon ein⸗ gerichtet hab' und mir's ausgerechnet hab', wie das ſein wird mit uns zweien. Denn die Gretel erhalten wir nicht. Mutter: Nein, die Gretel erhalten wir nicht. Und mich freut's nicht ohne die Gretel, wo ſie doch ſein Herzblattl war. Mich freut nichts mehr. Poldi: Am Ende zum Freuen iſt man ja nicht auf der Welt. Aber wir werden ſchon zuſammen wirtſchaften. Was wir brauchen, das verdien' ich am End'. Sie führen's Haus — wiſſen ©, gr — 116 — das können S' beſſer wie ich — ich lauf "rum und geb' meine Stunden, und ſo werden wir zwei gemeinſam gehen, Sie älter und ich alt F Mutter: Und alsdann, wenn's gar iſt mit mir? Poldi: Ich mach' mir keine Gedanken über das, was einmal ſein muß, wer weiß wann? Sie ſind geſund, wir werden zu leben haben, auch ohne den Felix. Sie werden vergeſſen und munter werden. Mutter: Munter werden? Das nicht mehr, Poldi. Es iſt ein zu trauriges Leben, ich hab' ihn zu lieb gehabt. Poldi: Mutterl! d Mutter: Ja, ich weiß das erſt jetzt. Ich hab' geglaubt, es iſt gar mit der Lieb'. Und jetzt ſeh' ich erſt, das lebt noch. Und mir iſt ſo bang um ihn trotz Deiner. Mir iſt, als hätt' ich niemanden, gar niemanden auf der Welt. Poldi: Das vergeht, Mutter. Bis man erſt aus⸗ — 117 — gezogen iſt. Bis Sie erſt rechtſchaffen herum⸗ wirtſchaften werden. Jetzt haben Sie nichts zu thun, als ſolche Gedanken mit ſich zu ſchleppen. Mutter: Kann ſein. Ich glaub' nicht, daß es vergeht. Jede Nacht, wenn er ſonſt heimgekommen iſt, ſo werd' ich wach, ſetz' mich auf im Bett und hör' auf die Stiegen, ob ich da nicht ſeine Stiefel knarren hör' und ob er nicht durch das Zimmer geht auf die Socken. Er war ſo viel rückſichts⸗ voll. Man war ſo ineinander gewachſen. Jetzt weiß ich's nicht, wie's mit mir wird, jetzt, wo's auseinander geriſſen iſt, für immer, mit aller Gewalt. Poldi: Es vernarbt vieles, Mutterl! Denken S' an mich! Mutter: Wenn man jung iſt, ja. Poldi: Sie werden wieder jung werden, Mutter. Mütter; Meinſt? Und er war ſo ein geſunder Mann! Einen Schritt hat er gehabt in ſeinen Jahren wie ein Federl. Und nicht einmal hat er gehuſtet. Er hätt' noch leben können, Gott weiß, wie lang. — 118 — Poldi: Martern Sie ſich nicht ſo, Mutter! Mutter: Und man hat an ihm viel Unrecht gethan Ja, im Amt, da haben ſie ihn nicht aufkommen laſſen, weil er ihnen zu klug war. Und ich weiß erſt jetzt, was ich an ihm gehabt hab! Ich war doch eine Frau vor der Welt, ſo lang er gelebt hat. Und er hat's Haus doch zuſammengehalten, er allein. Kaum iſt er tot, ſo geht's auseinander, wie ein Faß auseinandergeht, wenn man den Hauptreifen wegſchlägt und was darin war, das rinnt auf die Erden. Ich kann mir nicht helfen. Ich bin zu ſchwach. Ich weiß nur, ich bin ganz allein. Und ein einſchichtiges Frauenzimmer iſt ſo ſchlecht dran und ich vertrag das Alleinſein nicht mehr. Poldi: Mutter, Mutter! Sie thun mir ſo weh! Mutter: Härm' Dich nicht, Poldi! Meinetwegen ſchon gar nicht! Eher um Dich! Poldi: Um mich? Aber das iſt ja Unſinn, Mutterl. Ich kann nie allein ſein, niemals. Hab' ich Nie⸗ manden mehr auf der Welt, ſo werd' ich mir — 19 — wen ſuchen. Es gibt Waiſenkinder genug, daß man Eines annehmen kann. Oder ich geh' ganz in ein Haus, und dort werd' ich unterſchliefen und das Meine thun, und ich weiß es, man wird mich lieb haben. (és klopft.) Beide: Herein! Weißl: Guten Morgen, gnädige Frau! (poldi hat ſich freudig erhoben. Er geht an ihr vorüber und gibt der Mutter die Hand.) Po [di (gepreßt): Guten Morgen, Herr Doktor. Mutter: Guten Morgen! Das iſt eine Überraſchung. 5 Weißl (ſehr ſteif): Uberraſchung? Ich ſehe das nicht ganz ein. Es iſt am Ende nichts Überraſchendes dabei. Mutter: Es ſind uns ſo viele ausgewichen, gute Be⸗ kannte, von denen man ſich's nicht erwartet hätte. Weißl: Sie wiſſen ja, gnädige Frau, ich bin ein un⸗ abhängiger Menſch. Ich war auch bei der Ein⸗ ſegnung in der Kirche. 1 Poldi: Sehn S' Mutter! Und Sie haben noch mit mir geſtritten. Weißl: Fräulein, wie konnten Sie mich bemerken? Ich habe mich zurückgezogen genug gehalten. Poldi: Wie, das weiß ich nicht. Sagen wir, ich hab' Sie geſpürt. Weißl: Ach jo. Da wären wir wieder auf Ihrem. beliebten Gebiet der Ahnungen und der Märchen. Sie entſchuldigen ſchon, aber ich bin heute nicht in der Stimmung, zuzuhören und ſtillzuſitzen. Poldi: Sie haben vollkommen recht, Herr Doktor! Weißl: Ich danke. Ich weiß das zwar ohnedies. Aber Ihre Anerkennung erfreut mich immer noch. Aber, ich wollte dennoch . . . . ich fühlte mich dennoch genötigt .. . ich ſah mich gedrungen .... Poldi: Eine Kondolenzviſite zu machen. Weißl: Ja, etwas ähnliches wollte ich ſagen. 1 Mutter: Kümmern Sie ſich nicht um die. Ich danke Ihnen. Und ich danke es Ihnen beſonders, daß Sie es noch in dieſer Wohnung gethan haben. Ich habe das Gefühl, der Tote freut ſich ſelber damit, daß Sie ihm ſo doppelt die Ehre geben. MWerpl: Pardon, wir wollen nicht weitergehen, als ich möchte, gnädige Frau. Mutter: Frag' ihn, Poldi! (poldi ſchweigt.) Ja, (hilſlos) was wünſchen Sie alſo eigentlich, Herr Doktor. Weißl: Es wird mir nicht leicht, gnädige Frau. Alſo, ich weiß, welches Ende ihr ſeliger Mann ge- nommen hat Mutter: Da iſt nichts zu verſtecken. Das weiß heute die ganze Wienerſtadt. Weißl: Und mich hat dies Ende aufrichtig bewegt. Denn ich meine nach allem, was ich vordem über ihn gehört habe, ſo habe ich den toten Mann verſtanden und begriffen. Poldi: Haben Sie das, Herr Doktor, haben Sie? — 122 — Weißl: Deſto näher ging mir alſo ſein Ende. Mutter: Ich danke Ihnen, Herr Doktor, in ſeinem Namen danke ich Ihnen. Weil Kein Anlaß. Es iſt mir nur peinlich, daß ein Mann, den ich einmal ſchätzen gewollt, unter ſolchen Umſtänden aus dem Leben ſcheiden mußte. Mutter: Es haben ihm ſo Viele Steine ins Grab nachgeworfen Herr Doktor. Ich danke Ihnen doppelt für das eine Blümerl, das Sie darauf- legen. Weißl: Bitte, gnädige Frau, es hat eine Zeit gegeben, wo ich im todten Mann mehr geſehen, oder um mich richtiger auszudrücken, gehofft habe. Derlei bleibt. Poldi: Bei einem Jeden nicht. Weißl: Sie machen mich verwirrt, mein Fräulein! .. Alſo, ich wollte fragen, ob Sie, gnädige Frau, meiner in dieſer Zeit in keiner Weiſe bedürfen. — 123 Poldi (ſehr beſtimmt): Ich danke Ihnen, Herr Doktor, im Namen meiner Mutter und auch ſonſt, aber wir be⸗ dürfen Niemandes. Weißl: Ich bitte Sie, gnädige Frau, mein Anerbieten nicht ohne weiteres abzulehnen. Es iſt aufrichtigſt gemeint. Mutter (unſicher): Ja, aber wie denken Sie, Herr Doktor . . .? Weißl: Es müſſen doch große Auslagen für Sie er⸗ wachſen ſein. Das Begräbnis Mutter: Ja, das hat ſchon ſehr viel gekoſtet. Aber man hilft ſich. Wir drei Frauen brauchen keine ſo große Wohnung mehr, da hat man eben das Übrige und das Reſterl Silber verkauft. Weißl: Und es iſt noch Eins. Ich denke mir, — ich habe auch mit einem Advokaten darüber ge⸗ ſprochen — es wäre im Intereſſe Ihrer Penſions⸗ anſprüche, eventuell einer Gnadengabe gut, wenn Sie den Schaden erſetzen könnten, welchen der Verewigte angerichtet. — 124 — Poldi: Wir haben uns ſchon in aller Form 1 1 5 verbindlich dazu verpflichtet — natürlich, nachdem wir es leiſten können. Weißl: Wirklich? Und ich ſehe nicht ein, warum Sie dazu kommen, ſich ihr Leben lang mit einer ſolchen Laſt ſchleppen zu müſſen. Sie werden ja nicht darunter erliegen. O, nein. Ich weiß ja ſelber, wie ſtark Sie ſein können. Aber zu tragen werden Sie daran haben und niemals ſo recht aufatmen können. Poldi: Sie ſehen nicht ein, wozu? Weißl: Nein, wahrhaftig nicht. Nun, und ich habe ziemlich viel Geld, gnädige Frau. Das heißt, nicht eben ſo viel, daß es mit den Zinſen ins Gewicht fiele, und dennoch genug, daß es Ihnen hilft und mir noch etwas bleibt. Mutter: Sie haben ſoviel? Ja, woher denn? Weißl: Eine ſonderbare Frage. Etwas davon habe ich auch geerbt. — 125 — Poldi: Etwas davon hat er auch geerbt! Weißl: Bitte, Fräulein! Und das Geld hat für mich gar keinen Sinn. Zu leben habe ich, ſo lange ich immer lebe. Ich kann, wie ich bin, nicht einmal mein Einkommen aufbrauchen. Bedürfniſſe habe ich keine, zum Reiſen bin ich zu ſchwerfällig, ſelbſtändig einrichten will ich mich nicht mehr. Nehmen Sie's und helfen Sie ſich oder machen Sie nur das Andenken des Verſtorbenen rein damit. Es muß ſchrecklich ſein, Jemanden geliebt zu haben und ſein Andenken beſudelt zu wiſſen. Mir wenigſtens wäre es ſchrecklich ... oldi: Und Sie denken von uns nicht anders, als von ſich ſelber? Herr Doktor, Sie machen mich ſtolz damit. Weißl: Keine Urſache. Und Sie können mir ja zahlen, wenn es Ihnen paßt. Mutter: Wir danken Ihnen, Herr Doktor, aber es geht nicht. Weißl: Fräulein v. Köſtler, ſprechen Sie mit Ihrer Mutter! Es geht Sie doch auch an. — Poldi: Warum denn gerade mich? Weißl: Bitte Fräulein, thun Sie's doch! Poldi: Warum denn gerade ich? Weißl: Nun, weil ich nicht will, daß Sie ſich jo ab⸗ rackern, wie ein armes Tier, dem man zu viel aufgeladen hat und das ſich ſchleppt, bis es nicht mehr weiter geht und es wohin fällt und ſtirbt. Poldi: Das wollen Sie nicht, Doktor, das wollen Sie nicht? Weißl: Nein, das will ich durchaus nicht. Und jetzt überlegen Sie ſichs! Jetzt kann ich gehen. Poldi: Doktor! (aufjauchzend) Doktor! Weißl: Alſo adieu für immer! Poldi: Nein, bleiben S' noch ein biſſerl. Sehen Sie ſich ihn an, Mutter, und ſagen S', ob es noch ſo eine Tochter giebt, wie mich. Den Mann, den Mann hab' ich haben können. Und ich hab' ihn geh'n laſſen, weil Sie's ſo gewollt haben, e Mutter. Aber ich ſtirb daran; daran, und nicht an dem, was man mir aufgepackt hat. Weißl: Fräulein v. Köſtler! Fräulein! Poldi! Poldi! So. Und jetzt wiſſen S' Alles. Und jetzt geh'n S'! Weißl: Dar solle ich aber da müßt ich eigentlich .. Poldi. Poldi: Geh'n S', aber mich nehmen S' mit! Weißl: Poldi! Poldi! Meine Herzenspoldi! | Poldi: (Seine Hand in der ihren.) Und reden S' mir nicht's dagegen, Mutter! Sind Sie durch die Hölle gegangen, ich will's auch probieren. Vielleicht iſt's gar nicht ſo heiß, wie man's macht. Ich will's nicht einmal beſſer haben, als Sie's gehabt haben, wenn's mit ihm iſt. Ich ſeh' nicht ein warum. Weißl (mill fie an fi) reißen): Poldi! Poldi: Keinen Kuß! Nicht jetzt! Nicht in dem Zimmer! — 128 — Mutter: Ich hab's gut gemeint. Glaub’ mir's, Poldi! Poldi: Sag' ich was dawider? Glaub' ich's nicht ſelber? Aber Sie haben nur gemeint, und ich weiß jetzt, es geht nicht anders. Und haben Sie nicht ſelber geſagt, ein einſchichtiges Frauenzimmer iſt das ärmſte Ding auf der Welt? Und es ſoll keinem erſpart bleiben, der weiß, was rechte Nei⸗ gung iſt, weil's ein jeder probieren muß und weil mit einem jeden die Welt beginnt, der's ehrlich probiert und was war, war und gilt nicht mehr. Wie heißt's im Märchen? „Hinter uns Nacht und vor uns Tag!“ Weißl: Hinter uns Nacht und vor uns Tag. Poldi: Nein. Es geht nicht ins Märchen, ins Leben geht's. Und wir wollen rechtſchaffen arbeiten und es nehmen wie es kommt. Magſt mich noch, Guſtel, magſt mich daraufhin? Weißl: Wir Aae en ja, wir wollen, Poldi! Hinter uns Nacht und vor uns Tag! Umarmung. (Der Vorhang fällt ſehr raſch.) Ende. Monatlich ein Heſt 2-3 Gegen 5 artal 5 * Jeder Litteraturſreund